Auswanderung der Deutschen
Teil II 1820 - 1917
2 Veränderte Rahmenbedingungen für die Russlanddeutschen
2.2 Russlanddeutsche und gesamtrussische Reformen
2.2.3 Chance – Teilnahme am gesellschaftlichen Leben
Nach der Abschaffung der Selbstverwaltung der Kolonisten und ihrer Übernahme in die Semstwoverwaltung hatten die deutschen Kolonisten erstmals die Gelegenheit, sich an Wahlen außerhalb der Gemeinde, nämlich an den Wahlen zu den Kreis- und Gouvernementssemstwos, zu beteiligen. Freilich gelangten Kolonisten nicht überall in die neuen gewählten Verwaltungsorgane. Aber im Gouvernement Saratow stellten sie bei nur 6,9% Anteil an der Gesamtbevölkerung drei der vier Mitglieder der Gouvernementsverwaltung. In den Kreisen Kamyschin (Gouv. Saratow) und Nowouzensk (Gouv. Samara) mit ihren hohen deutschen Bevölkerungsanteil (rund 40 bzw. 37 Prozent in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts) stellten die Kolonisten in den Kreissemstwoversammlungen bis in die neunziger Jahre über die Hälfte bzw. ein Drittel der Vertreter (alle drei Kurien zusammen). Auch in den Kreisen der Südukraine, Bessarabiens und Wolhyniens spielten Russlanddeutsche in den Semstwos bei einem vergleichsweise geringen Bevölkerungsanteil eine beachtliche Rolle.
Das Engagement der Kolonistenvertreter konzentrierte sich vor allem auf einzelne, ihre Lebensbereiche direkt betreffende Gebiete und Probleme, so vor allem die Verwaltung des Schul- und Gesundheitswesens und verschiedene landwirtschaftliche Einrichtungen.