Geschichte der Russlanddeutschen
Auswanderung der Deutschen
Teil II 1820 - 1917
3 "Deutsche Frage" und Lösungswege
3.4 Fremdengesetz
3.4.3 Auswanderungswelle
3.4.3.1 Westpreußen oder Posen
Einem Bericht des deutschen Botschafters von Schweinitz an den Reichskanzler Caprivi zufolge gab es Bestrebungen der evangelisch-lutherischen Kirche Russlands, für deutsche Kolonisten in Westpreußen oder im Gebiet Posen neue Ansiedlungsmöglichkeiten zu schaffen.
Der Generalsuperintendent und Vizepräsident des Sankt Petersburger evangelisch-lutherischen Konsistoriums Laaland stellte dem Botschafter die Frage, ob "es tunlichst sein würde, den deutschen Kolonisten im südwestlichen Rußland, welche schwere Bedrückungen erleiden, Niederlassungen auf den von der Ansiedlungskommission in Posen erworbenen Ländereien zu gestatten".
Ohne die bisherige Haltung des Deutschen Reiches – keine Einmischung in die russische Kolonisationspolitk – in Frage zu stellen, wies der Botschafter den Generalsuperintendenten darauf hin, dass "deutsche Kolonisten, welche mit den nötigen Mitteln versehen sind, in Westpreußen oder Posen angesiedelt werden können, insoweit als es der beschränkte Umfang der dort zur Verfügung stehenden Ländereien gestattet und in der Voraussetzung, daß die russische Regierung den Abzug jener Leute wünscht". Außerdem bat der Botschafter Laaland dringend, "er möge vermeiden, irgend welche derartigen Hoffnungen bei unseren Landsleuten in Rußland zu erwecken, weil bittere Enttäuschung die unausbleibliche Folge sein würde. Die Ländereien, über welche die Ansiedlungskommission verfügen könnte, seien nämlich im Vergleich zu den von den Kolonisten im südwestlichen Rußland okupierten Flächen so verschwindend klein, daß nur wenige, und nur bemittelte, halbwegs befriedigt werden könnten. Auch diese würden sich, an extensive Wirtschaft gewöhnt, nur schwer in unsere engen, streng geordneten Verhältnisse zu finden im Stande sein. Wenn aber auf Grund des Gerüchtes, daß wir den Rückwanderern Land geben wollten, eine Rückströmung eintreten sollte, so würde unabsehbares Elend entstehen."
Diplomatisch verklausuliert gab der Botschafter seinem Gesprächspartner zu verstehen, dass nur wirtschaftlich potente und in der Landwirtschaft erfahrene Kolonisten berücksichtigt werden würden und dies auch nur in sehr begrenzter Anzahl.
Brasilien oder die USA blieben damit für die allermeisten Ausreisewilligen die einzige Alternative.