Auswanderung der Deutschen
Teil IV 1955 bis Heute
2 Perestroika, Glasnost und die Russlanddeutschen
2.4 Autonomie und Ausreise
2.4.2 Gesetz vom 26. April 1991 über die Rehabilitierung der repressierten Völker
2.4.2.1 Rayon Halbstadt/Altai
In der Altai-Region lebten 1989 127 731 Deutsche. In diesem Siedlungsschwerpunkt wurde am 1. Juli 1991 der 1927 geschaffene und 1938 aufgelöste deutsche Rayon (Landkreis) Halbstadt wiederbegründet.
Präsident Jelzin unterzeichnete den Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der RSFSR. Vorsitzender des Rayon-Sowjets wurde W. Haan, Vorsitzender des Exekutivkomitees J. Bernhard.
Zur "Hauptstadt" wurde Halbstadt bestimmt. Der Rayon befindet sich in der Nähe von Slawgorod. Sechzehn Dörfer mit insgesamt 20.700 Einwohnern, davon 18.600 Deutsche, gehören zu diesem Landkreis. (1998/99 lebten im Gebiet Halbstadt und in Slawgorod rund 39 000 Russlanddeutsche).
In dem neu gebildeten Rayon gab es Kolchose mit 80.970 Hektar Land, davon 70 mit 950 Hektar Ackerland; Sowchosen mit 185.899 Hektar Land, davon 140.808 Hektar Ackerland. 85 Prozent aller Arbeitsplätze bestanden in der Landwirtschaft.
Die 1993 gegründete "Entwicklungsgesellschaft Halbstadt" ist Koordinator für den Aufbau des Landkreises, für Verwaltung, Wohnungsbau und Ansiedlung von Gewerbebetrieben.
1989 wurde ein von Deutschland unterstütztes Wirtschaftsprogramm abgeschlossen. Im Rahmen des Programms wurden drei Molkereien, zwei Schlachthöfe, eine Bäckerei, eine Straßenmeisterei und ein Bauhof errichtet. Außerdem wurde eine moderne Fleischverarbeitungsfabrik und ein Krankenhaus eröffnet.
Die Gewinne aus den Betrieben werden unter anderem zur Finanzierung sozialer Leistungen eingesetzt. Dazu gehörte die Vergabe günstiger Kredite für den Hausbau, die Förderung des Sprachunterrichts in Kitas und Schulen sowie die Unterstützung kultureller Initiativen.
Trotz dieser Bemühungen kam es auch hier zu Ausreisen. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung, wanderte ab. 1996 lebte hier im Vergleich zu 1992 nur noch etwa 40 Prozent der alteingesessenen Bevölkerung im Landkreis. Die Lücken wurden durch den Zuzug andersethnischer Familien gefüllt. Dadurch veränderte sich die nationale Zusammensetzung des Rayons. Die Auswirkungen dieser Entwicklung analysiert das Bundesministerium des Innern:
"Aufgrund der anhaltenden Migration unterliegt die nationale Zusammensetzung des Rayons Halbstadt einem ständigen Wandel, der sich auch auf die Pflege der deutschen Sprache und Kultur auswirkt. Zwar findet sich unter den Neuankömmlingen aus Kasachstan, Kirgisistan und anderen Republiken der ehemaligen Sowjetunion ein hoher Prozentanteil von Deutschstämmigen, doch die meisten von ihnen sind seit einer oder mehreren Generationen kulturell assimiliert und nicht mehr gewohnt, die eigene Muttersprache zu gebrauchen. Obwohl viele Kulturträger und Personen in fast allen Ortschaften daran mitwirken, der deutschen Sprache ihren traditionellen Stellenwert im Rayon zu erhalten, bedarf es dennoch weiterer Initiativen."