8 Kulturarchiv
8.2.3 Literarisches
8.2.3.10 DIE BRAUTSCHAU
Man kann unser Volk aus der alten Heimat, das zum großen Teil aus biederen Schwaben bestand, mit ruhigem Gewissen nicht nur als lebenskräftig und lebensbejahend, sondern auch als durchaus fruchtbar bezeichnen. Familien mit mehr als zehn lebensfähigen Kindern waren keine Seltenheit. Man konnte bei uns ohne weiteres von einem stark ausgeprägten Mutterkult sprechen, denn die Mutter stand im Mittelpunkte unseres Gemeinschaftslebens. Wie bei unseren Ahnen, den alten Germanen, schaltete sie als Herrin in Haus und Hof und hatte sogar ihre eigenen Einkünfte. Ihr Ideal waren die Bismarckschen drei großen K – Kinder, Kirche, Küche. Diese füllten ihr ganzes Leben aus. Ihre Töchter bereitete sie nicht auf einen Beruf vor, sondern erzog sie zur künftigen Mutter und Hausfrau. Daher strebte auch jedes Mädchen, baldmöglichst unter die Haube zu kommen und ja nicht als verwelktes Mauerblümchen sitzen zu bleiben. Es wandte alle seine angeborenen weiblichen Künste an, um sich den Mann zu erobern, den sie lieben und achten konnte.
Lehnerts Regine wußte ein Lied davon zu singen. Sie war nämlich schon längst über ihre schönste Jugend hinaus und stand dicht vor ihrem dreißigsten Wiegenfeste. Sie zählte bereits zu den ledigen Weibspersonen, die ihrem Morgen- und Abendgebet einen stillen Stoßseufzer hinzufügten: " Herrgott, gib mir doch endlich einen Mann, aber einen braven, frommen und er möchte schon recht bald kommen!"
Sie war nicht häßlich, die Lehnert Regine, nein. Sie war eine herbe, blonde Schönheit, allerdings schon etwas stark in die Reife geschossen, üppig und robust. Sie war auch nicht dumm oder schlampig, im Gegenteil – sie war recht gescheit, fleißig und sparsam und hielt den Haushalt nach dem Tode ihrer Mutter gut zusammen. Doch hatte sie wie jeder Mensch einen Schönheitsfehler – sie hatte nämlich Haare auf der Zunge. Diese Eigenschaft schreckte so manchen Freier ab. Außerdem war sie in ihrer Blütezeit ziemlich wählerisch gewesen. Die armen Bewerber schaute sie über die Achsel an, und die Reichen waren in der Gemeinde dünn gesät und schielten nach einem größeren Vermögen. In ihren späteren Jahren hätte sie gerne schon mit einem Kleinbauern vorlieb genommen. Aber sie war jetzt das Mauerblümchen, um das sich keiner mehr kümmerte.
Diese große Not brannte der Lehnert Regine auf dem herzen und verleidete ihr das Leben.
Auch dem alten Lehnertbauer dauerte das Warten schon etwas zu lange.
" Mädel" , wandte er sich eines Tages an seine Tochter, " so kann es nicht mehr weiter gehen. Wie lange soll ich mich noch schinden und plagen? Mit der Wirtschaft geht es herab. Schau zu, daß du heiratest und recht bald! Die Wirtschaft schreit nach einem tüchtigen Bauern. Bei mir wird es nicht mehr lange dauern. Heute oder morgen sage ich der Welt Valet. Und da möchte ich zuvor alles in Ordnung wissen, um ohne Sorgen meine müden Augen für immer schließen zu können."
Der Bauer schwieg und sah seine Tochter erwartungsvoll an. Die Regine blickte aber ganz verheddert und verdrießlich zu Boden und sagte kein Sterbenswörtchen.
" Hast wohl ein Schloß vor dem Mund, was?" begehrte der Bauer auf. " Was redest nichts? Bist ja sonst keine von den Schweigsamen."
" Heiraten, heiraten!" erwiderte Regina erregt. " Das ist leicht gesagt. Aber zu Heiraten gehören immer zwei. Soll mit etwa den Bräutigam aus dem Ärmel schütteln oder von Haus zu Haus gehen und bitten und betteln, bis mich einer endlich aus Mitleid nimmt? Du hast leicht zu reden, Vater."
" Na, na" , beschwichtigte der Alte, " Brauchst nicht gleich so aufgeregt zu sein, ich meine es ja nur gut mit dir. Du hast also noch keinen in Aussicht. Gut, dann besorge ich dir einen. Wenn ich auch schon alt bin, meine fünf Zwetschgen habe ich immer noch gut beisammen. Und da habe ich dir bereits einen ausgesucht, einen feschen, sag ich dir."
Da machte das Mädchen Augen so groß wie ein Wagenrad und glotzte seinen Vater ganz verständnislos an.
" Ausgesucht ...du?" stammelte sie. " Einen Bräutigam für mich? ... Wen denn?"
" Den Kippler Georg aus Liebental. Du kennst ihn ja. Ein braver, ruhiger Bursche, der keiner Fliege ein leid antut. Mit dem wirst sicher gut auskommen."
" Herrgott, den Kippler Georg aus Liebental! Ja wie kommst du gerade auf den, Vater?"
" Hm, das ist bald gesagt. Ich und der alte Kippler haben zusammen in Wladiwostok beim Militär gedient und waren Busenfreunde. Das letztemal bin ich mit ihm auf der Kirchweih in Liebental zusammen gesessen. Wir haben da über so manches diskutiert und sind dann auf einmal auf unsere Kinder gekommen. Er hat nur einen Bub und ich nur ein Mädel. Und da haben wir uns geeinigt, daß ihr zwei ein gutes Paar abgeben könnt. Am Sonntag in zwei Wochen kommen die Kipplers auf Brautschau. Das ist alles. Was sagst nun drauf, Mädel?"
" Mir ists schon recht" , erwiderte Regine, und ihre blauen Augen leuchteten freudig auf. " Die sollen nur kommen. Doch wie ich hörte, ist der junge Kippler ein ganz Gescheiter. Er soll schon auf etlichen Höfen gewesen sein und überall hatte er etwas auszusetzen gehabt. Und erst seine Mutter, die alte Kipplerin! Die hat Augen wie ein Luchs. Bevor die kommen, muß noch allerhand geschehen. Aber verlaß dich auf mich, Vater, ich werde schon alles gut machen. Den fange ich mir schon ein." - - -
Auf dem Lehnerthof herrschte nun ein reges Treiben. Einige Male ging Regine fort und kam erst spät abends zurück, als die Nachbarsleute schon schliefen. Sie putzte und scheuerte von Sonnenaufgang bis in die Nacht hinein. Im ganzen Hause wurde das Unterste nach oberst gekehrt. Alles mußte blitzblank sein, denn der junge Kippler war ein ganz feiner.
Der erwartete und gefürchtete Sonntag brach endlich an. Die Kipplers – Vater, Mutter und Sohn – kamen am frühen Nachmittage auf einem Federwagen angefahren. Der alte Kippler stieg zuerst ab. Er war ein kleiner, rundlicher und freundlich lächelnder Mann. Die Kipplerin dagegen mager und hochaufgeschossen wie eine Telegraphenstange. Sie trug ein dunkles, wollenes Kleid und ein schweres, seidenes Tuch um den Kopf. Ihr Gesicht war in strenge, würdige Falten gelegt; die kalten, dunklen Augen stachen. Als sie die Regine an der Türe stehen sah, sagte sie nur " aha!" Weiter nichts,
" Das ist die Tochter" , meinte der alte Kippler.
" kenne ich schon" , war die lakonische Antwort.
Der junge Kippler war lang und sehnig, mit einem würdigen, altklugen Gesicht. Er war das Ebenbild seiner Mutter, nur fehlte ihm das Finstere und Stechende in ihren Blicken. Seine Augen blickten kalt und geschäftig umher, als ob er alles, was er sah, in lauter Zahlen umsetzen wollte. Im Alter mochte er der Lehnertstochter nicht viel voraus sein. Mit einem höflichen Gruß ging er auf die Regine zu.
" Es ist heute eine höllische Hitze" , begann er das Gespräch.
" Ja, es ist heute wirklich sehr heiß" , tat das Mädchen etwas verlegen.
" Auf solch eine Hitze kommt gewöhnlich ein Gewitter."
" Ja, das kommt gewöhnlich."
Nun stockte das Gespräch zwischen den beiden. Da drängte der alte Lehnert die Gäste ins Haus.
" Kommts ein wenig in den Schatten, es ist ja hier draußen nicht auszuhalten. Machts euch recht kommod in den kühlen Stuben und fühlt euch bei uns wie daheim. Regine, hol uns eine Kanne Wein, aber zapf nur aus dem hintersten Faß, weißt ja Bescheid! Der hat mindestens seine zwanzig Jahre" , fügte der Hausherr hinzu und zwinkerte seinem alten Freunde vielsagend zu.
Regine brachte eilends das Gewünschte. Der Lehnertbauer schenkte ein und suchte die Unterhaltung in Fluß zu bringen. Der alte Kippler schlürfte am ersten Gläschen mit Kennermienen, langsam, genießerisch und lächelte stillschweigend in sich hinein. Beim zweiten Gläschen meinte er, daß solch ein Tropfen wohl im ganzen Umkreise schwerlich zu finden sei. Und mit jedem Gläschen wurde er immer redseliger und lauter. Nur der Bräutigam und seine Mutter hielten sich mehr reserviert, ließen aber ihre Augen umso eifriger umherspringen und unterzogen jeden Gegenstand und jeden Winkel einer genauen Durchmusterung. Sie schätzten und rechneten. Und als die Besichtigung der Stube fertig war, wünschten sie die Wirtschaft zu besehen. Der alte Lehnert führte die Gäste bereitwilligst hinaus. Regine begab sich in die Küche, um für ein leckeres Mahl zu sorgen.
Indes weilten die Gäste auf dem Speicher und besichtigten die Getreidevorräte.
" Es war heuer ein schwaches Jahr" , erklärte der alte Lehnert, " sonst haben wir immer dreimal soviel auf dem Speicher gehabt. Weizen, Gerste, Hafer, Kukuruz, Sonnenblumen, Sojabohnen – alles haben wir. An Futter haben wir auch genug. Können sogar noch verkaufen davon."
" Gar so viel ists gerade nicht" , meinte die Kipplerin geringschätzig.
" Sein gutes Auskommen findet man schon damit" , suchte der alte Kippler seinem Freunde zuhilfe zu kommen.
Als sie zum Schweinestall kamen, da erregten die sechs Mastschweine, das rassige Mutterschwein mit den zehn Ferkeln und die vielen Läufer die helle Begeisterung des alten Kippler.
" So viele Schweine hast du!" rief er erstaunt aus. " Na, da lebt ihr wohl nicht immer nur von Kartoffeln und Strudel?"
" Das will ich meinen" , erwiderte der Hausherr schmunzelnd, " eine kräftige Kost gehört schon zum Leben. Kennst ja das Sprichwort: So wie man ißt, so schafft man auch. Wir schlachten halt so dreimal im Jahr."
" Hm" , meinte darauf die Kipplerin.
" Hm" , meinte auch der Bräutigam.
Der alte Lehnert setzte den Rundgang mit erleichtertem Herzen fort. Er öffnete die Türe zum Pferdestall. Vier Paar starke, ausgefütterte Tiere mit glattglänzenden Rücken standen da in Reih und Glied.
Die Kipplers sagten kein Wort, aber ihre erstaunten Gesichter verrieten, daß ihre Erwartungen weit übertroffen wurden.
Über Lehnerts Gesicht flog ein zufriedenes Lächeln.
" Wir haben nicht viel Grund, darum brauchen wir auch nicht viel Zugvieh" , erläuterte er. " Wir haben uns meistens auf die Milchwirtschaft verlegt und halten mehr Kühe. Ich werde sie euch gleich zeigen!"
Zwanzig wohlgenährte, gelbgefleckte Kühe und acht glatte Kälber glotzten die Eintretenden an.
" Kruzitürke!" entfuhr es bei aller Zurückhaltung dem jungen Kippler. " Zwanzig Rassenküh und acht Kälber? Das ist schon was."
" Na, na, ist gar nicht so viel" , wehrte der Lehnertbauer ab. " Wir haben ja Futter genug, warum soll man sich da nicht auf die heute so rentable Milchwirtschaft verlegen? Freilich, gibt es dabei viel Müh und Schererei, aber meine Regine scheut keine Arbeit, die ist schon eine."
" Ja, ja" , gestand der alte Kippler, " deine Regine ist schon ein Prachtmädel, daß muß man sagen."
Von den Ställen ging es zu den Schuppen, dann zu den Gänse- und Hühnerställen. Die Kipplerin zählte gewissenhaft sämtliches Federvieh und nickte ganz zufrieden. Endlich kamen sie auch in die Küche.
" Zwölf große Schmalztöpfe!" rief die Kipplerin. Mehr brachte sie nicht heraus. Sie war einfach hingerissen. Und angesichts der zwölf großen und vollen Schmalztöpfe drückte der junge Kippler zum erstenmal Reginas Arm fest an sich. Das viele Schmalz hatte ihn völlig besiegt. - - -
Die Brautschau war zur vollen Zufriedenheit ausgefallen. Da beide Teile als einzige Kinder das gesamte elterliche Vermögen erbten, so wurde auf die übliche schriftliche Vermögensvereinbarung verzichtet. Nun setzten sich die Gäste mit dem Hausherrn an den Tisch, um über die Heirat näher zu beraten. Regine ging in die Küche. Es war Zeit, für ein ausgiebiges Mahl zu sorgen. Sie wollte auch mit ihrer Kochkunst auftrumpfen. Der junge Kippler benützte diese Gelegenheit und eilte seiner Braut nach. In der Küche war sonst niemand. " Regine" , wandte er sich an das Mädel, " bevor wir den Tupfen auf das i setzen, möchte ich dich klipp und klar unter vier Augen fragen, ob du mich auch ein wenig gern hast und ob du aus freien Stücken mein Weib werden willst."
" Du bist mir als Mann schon der richtige, Georg, und gern habe ich dich schon lange gehabt, darum habe ich auch solange auf dich gewartet." Da zog der Bräutigam sein Mädel etwas linkisch an sich und gab ihm einen saftigen Kuß. Damit war nun die Verlobung besiegelt.
Beim gemeinsamen Essen, an dem die Gäste ihr größtes Wohlgefallen fanden, wurde die Einigkeit getroffen und auf das Wohl des jungen Paares eifrig zugetrunken.
Der Abschied ging sehr freundlich von sich. Sogar die Kipplerin taute auf und schloß ihre zukünftige Schwiegertochter in die Arme.
" Auf baldiges Wiedersehen!" rief der junge Kippler vom Wagen herab. Und als die Pferde anzogen, wandte er sich noch einmal um: " Und in drei Wochen ist Hochzeit!"
Der Wagen rollte zum Tor hinaus.
Der alte Lehnertbauer sah seinen Gästen nach und sagte dann zu seiner Tochter:
" Meinst, daß es diesmal ernst wird, Mädel?"
" Ja, Vater, diesmal wird es ernst" , lachte Regine. " Gott gebe es! Denn wenn du auch diesmal die Überfuhr versäumst, nachher ist Schluß."
" Diesmal haben wir das Spiel gewonnen, Vater."
" Aber schlau warst du schon bei der ganzen Sache, das muß ich sagen. Nicht jede wäre auf solche Einfälle gekommen. Zehn Kühe hast du bei meinem Bruder Michael ausgeliehen, fünf Kälber, zwei Paar Pferde, drei Mastschweine, einige Läufer ... Und der gute alte Wein aus dem besten städtischen Weinkeller ... Da haben die Kipplers zugegriffen. Ich hatte schon höllisch Angst, daß er nicht ausreicht. Das hast alles du ausgeklügelt. Und das mit den zwölf Schmalztöpfen, ha-ha-ha! Das war dein bester Trumpf. Wasser hast du, Schlaukopf, in die Töpfe gegossen. Das Fett schwimmt ja immer obendrauf. Aber, Mädel" , fuhr der Alte etwas verlegen fort, " wie wirst du nach der Hochzeit bestehen können? Es war immerhin ein Betrug. Gerne habe ich dabei nicht mitgemacht."
" Es war eigentlich gar kein Betrug, Vater. So was tut ja ein rechtschaffener Mensch nicht. Das habe ich alles mit dem Michaelvetter ausgeheckt. Er versprach, mir alles, was ich von ihm ausgeliehen hab, und noch fünf Deßjatinen Land testamentarisch zu vermachen, falls ich wirklich zu einem braven Manne käme. Er ist ja kinderlos, und sein Neffe, der Friedrich, und ich sind die einzigen Erben."
" Mädel, Mädel, ich stelle es mir doch etwas schwer vor, denn der junge Kippler ist ein genauer. Hast ja gesehen, wie er alles zählte und abschätzte. Der wird dir die Sache schon unter die Nase reiben."
" O Vater, darüber lasse dir keine grauen Haare wachsen! Um den kleinsten Finger wickle ich ihn, den Kippler. Den habe ich mir schon genau angesehen, der gehört zu der Sorte von Junggesellen, welche die bravsten und ruhigsten Ehemänner abgeben. Darum habe ich auch alles auf die Karte gesetzt, um ihn zu kriegen. Jetzt ist er mir sicher. Hast ja gehört: In drei Wochen ist Hochzeit!"
Die Augen des Mädchens leuchteten. Sie schienen ein fernes Bild zu schauen, ein schon lang ersehntes, trautes Bild. Es sah sich, die fleißige, schaffende Frau, umringt von einer frohen Schar blondlockiger Kinder, Buben und Mädel, und daneben den ernsten, stillen Mann. Und auf dem Speicher lag noch mehr Getreide, und in den Ställen standen noch mehr Pferde, Kühe und Schweine als heute. Denn auf allem ruhte des Herrgotts Segen.
Eine große, mächtige Freude zog in ihr vereinsamtes Altmädchenherz. Die Freude einer Siegerin, die sich ihr Plätzchen unter der Sonne, ihr schönes, reines Menschenglück, so klug und tapfer erkämpft hat.
Aus: Heimatbuch der Deutschen aus Rußland, Stuttgart 1960, Seite 151 - 154