Geschichte der Russlanddeutschen

8 Kulturarchiv

8.2.1 Quellen

8.2.1.11 Kolonistenwerbung

8.2.1.11.2 bürokratische Hürden

In vielen Fällen benötigen die Auswanderungslustigen ein besonderes Leumundszeugnis seitens der Behörde ihrer Heimatgemeinde, ehe ihnen ein Einlassschein von den russischen Agenten ausgehändigt wurde. In einer solchen Bescheinigung wurde bestätigt, dass die betreffenden Personen keine Leibeigenen seien, über Erfahrungen in der Landwirtschaft und ein bestimmter Vermögen verfügten und das sie körperlich gesund seien.

So beurkundet das Bürgermeisteramt von Eschelbach, Amt Kislau (bei Einsheim):

Leumundszeugnis

"Mathias Hermes, Bürger und Gerichtsverwandter von hier aus dem Großherzogl. Badischen Ort Eschelbach Amts Kislau stehet bei Schultheiß und Gericht geziehmend an, daß er sich mit seiner Ehefrau Franziska einer geborenen Schillingerin entschlossen habe von hier nach Rußland abzuziehen, ihme wegen seinem Vermögen – Aufführung – Gesundheit und Familie ein gerichtliches Zeugnis um Erlangung seiner bürgerlichen Annahme dort an den aufgestellten Commissär H. Thierry zu erteilen.

1. Herrscht dahier Gott sein Dank reine und gesunde Luft, und find weder die Eheleute noch deren Familie mit einer Krankheit behaftet.
2. Ist dieselbe von belobter Aufführung und der Cultur des Ackers- und Feldbaues wohl erfahren.
3. Besteht dessen Familie in einem Sohn und 1 Tochter, nemlich
der Sohn, 13 Jahr, Mathias und der Tochter, 10 Jahr alt, Magdalena
4. Besteht das Vermögen vorbesagter Eheleute in Fahrnissen, Haus, Gütern,welche nach Abzug der Passiven ausbringen können 250 fl., schreibe Zwei Hundert fünfzig Gulden.
5. Sind die ersagten Eheleute keiner Leibeigenschaft zugethan. Vorstehendes wird nicht allein von Gericht weg bezeugt, weilen man keine Anstandt findet. Einem Großherzogl. Amts wegen Erhaltung des Annahmscheins dorthin, und um die Erlaubnis der Auswanderung gehorsamst vorgelegt.

Eschelbach am 20. Merz 1809"

Ein Großteil der Auswanderer aus dem Rastatter Gebiet besorgten sich die Einlassscheine bei den in Wien residierenden Vertretern der Russischen Regierung. Die hier zitierte Bescheinigung wurde vom russischen Staatsrat Klüpfel ausgestellt.

Einlassschein. 1809

"Auf Verlagen des Obgenannten Bürgers (Michael Schäfer) zu Beintigheim bey Rastatt, welcher den Wunsch geäußert hat, nach Rußland zu wandern, um als Colonist aufgenommen zu werden, wird hiemit bekannt und bescheinigt, daß Unterzeichneter Kraft Befehl des Russ. Kaiserl. Hofes sich anheischig macht, demselben seine Aufnahme in Rußland zu sichern und ihm die erforderlichen Pässe zu erteilen, aber nur mit der Bedingniß, daß er eine Familie habe und mit Sich nehme und daß er von seiner Regierung frei gelassen worden ist, da ledige Leute nie können für Sich allein als Russische Colonisten aufgenommen werden.

Zur Urkunde dessen des Unterzeichneten eigenhändige Unterschrift und Siegel. Wien, den 24. Febr. 1809

Klüpfell, Seiner Kaiserl. Majestät Wirklicher Staats Rath Und des St. Anna Ordens zweiter Klasse Ritter."

Aus: Josef Häßler, Zur Auswanderung aus Baden nach Rußland. Nach Akten des Badischen General-Landes-Archivs zusammengestellt, in: Der Wanderweg der Rußlanddeutschen. Jahrbuch der Hauptstelle für die Sippenkunde des Deutschtums im Ausland, hrsg. vom Deutschen Auslands-Institut, 4. Jahrgang, Stuttgart und Berlin 1939, S. 20f.

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