8 Kulturarchiv
8.2.1 Quellen
8.2.1.12 Ausbruch der Pest
8.2.1.12.2 Pestopfer
Der Kutschurganer Oberschulze berichtete am 1. November 1812 dem in einem Brief über Pestopfer und die daraus resultierenden Maßnahmen (Quarantäne, Niederbrennen der Häuser der Pestopfer, verstärkte Wachen).
"Ew. Hochw. Gütiges Schreiben vom 27. Oktober habe ich mit Vergnügen erhalten und freue mich recht sehr, die Deutschen nicht nach Wunsch von Ew. Kensky gebraucht zu haben, denn sein Verlangen ist recht un billig gewesen.
Bis zum 24. verflossenen Monats sind die Deutschen alle gesund und ich hoffe, sie werden alle gesund bleiben.
Zusammen mit Poperenoi war ich in Baden. Mit dem Traktirschik1) konnte er sich nicht mehr verrechnen, denn nachdem er seine Magd, seinen Knecht und das Kind von 8 Jahren begraben hatte, war seine Frau gestorben und er folgte gleich nach ihr. Eine Tochter von 11 Jahren ist noch am Leben und diese arme Verlassene ist seit 3 Tagen, da ihre Eltern tot sind, nicht mehr ins Haus gegangen und Schreckliches ausgestanden. Die fürchterliche Lage, in der sich das Kind befand und befindet, ist nicht zu beschreiben.
Der Traktirschik ist im Hause gestorben und seine Frau neben dem Hause. Das arme unglückliche Kind wurde genötigt, Rohr das Haus zu tragen und anzuzünden. Es gab ein schreckliche Feuer und ich glaube, daß der Schenker im Haus verbrannt ist, doch seine Frau, die neben dem Haus gelegen hat, schwerlich, sind doch seine zwei Wagen auf dem Hof unverbrannt geblieben. Sollte die Frau nicht verbrannt sein, obwohl ein großes Feuer war, so ist doch notwendig, sie zu vergraben und ich weiß wahrhaftig nicht, wen ich dazu anstellen sollte. Die noch gebliebene Waise ist noch viel zu klein dazu und die Deutschen werden unmöglich dazu zu gewinnen sein. Deshalb erdreiste ich mich Ew. Hochwohlgebohren ergebenst zu bitten, dieses Seiner Durchlaucht dem Herzog von Richelieu vorzustellen und ihn um ein Schreiben zu bitten an Adelsmarschall Predwoditel Rensin oder an den Ifprawnik, auf daß die Leute hierher schicken, die schon anderenorts solche verpesteten Leute vergraben haben, damit diese auch hier auf ihren Fuhren, was noch ganz geblieben ist, wegfahren und vergraben oder verbrennen, denn es verursacht einem ein eigenes Gefühl, gesunde Menschen zu so etwas zu zwingen.
Der Poperenoi hat werden Geld noch Getränk aus dem Traktir herauszuholen sich gefürchtet und so ließen wir das Haus abbrennen. Was die Wagen betrifft, auf denen die Toten gelegen haben, ist sofort die nötige Vorsicht gebraucht worden.
Die Häuser, welche ich zur Quarantäne bestimmte, sind natürlich nicht bewohnbar und stehen ganz leer.
Ich bin jetzt, wie schon oben gesagt, mit allem gut fertig geworden, nur weiß ich nicht, wo ich ansetzen soll, den Rest jetzt zu vollführen. Darum schicke ich wieder diesen Brief, da dies keinen Zeitverlust leidet, mit einem Kosaken vom Kordon und bitte Ew. Hochwohlgebohren, doch die Güte zu haben, mich sogleich mit Ihrem gütigen Schreiben zu beehren, damit die Deutschen bei solch schlechter Witterung nicht weiter beim Wirtshause zu wachen brauchen der paar Sachen oder der Leichen halber. Die Wache hat zwar Hütten, die Leute sind aber arm und die Kleider sind schlecht. Es fällt den Leuten schon schwer, das Dorf zu bewachen.
Die Liebentaler Kolonisten verdrehen den hiesigen immer die Köpfe. Obwohl Ew. Hochw. Mir sagten, daß gleiche Vorschriften auch dorthin gegeben wurden, so tun sie immer was sie wollen. Gestern habe ich 4 Fuhren gefunden, die in Kurotno Kraut holten und eine Fuhre war in Dubossanry. Das weiß ich gewiß, denn es war der Wagner aus Freudental nach Holz gefahren. Und so fahren sie allenthalben. Dann geben sie Fremden Herberge, dieses weiß ich auch gewiß, denn der Kraus und Busch halten sich in Freudental oder Peterstal auf. Dies verursachte hier große Unruhe bezüglich der Wachen. Man glaubt mir fast nicht, daß es ihnen dort ebenfalls verboten ist. Am Ende ist zu befürchten, daß sie insgesamt und das besonders bei solch schlechter Witterung keine Wache mehr halten werden. Um also einem solchen Übel abzuhelfen, bitte ich inständig mir zu schreiben, wie ich mich zu verhalten habe.
Sie schreiben, daß sich der Schenker, der Traktirschtik, eine Semljanka (Erdhütte) bauen könnte? Der braucht keine mehr. Für die arme, unglückliche und verlassene Waise wollte ich eine Semljanka bauen lassen und als die Grube dazu schon fertig war, setzte ein schreckliches Regenwetter ein und zuletzt Glatteis und Schnee, so daß die Arbeit nicht weiter fortgesetzt werden konnte. Der arme unschuldige Wurm hätte auch unmöglich 42 Tage Quarantäne in einer solch feuchten Semljanka aushalten können, ohne völlig zugrunde zu gehen. Auch wäre es für die Wächter wiederum beschwerlich gewesen, so lange Zeit auf freier Steppe die Waise zu bewachen. Ohne Wächter die arme, unschuldige Seele sitzen lassen in der Semljanka wäre wiederum gefährlich gewesen, denn allein die Angst hätte das Kind fortgetrieben und das kann man sich leicht vorstellen.
Ich entschloß mich daher folgendes zu tun: Wie Ew. Hochw. bewußt, sind in Baden vier leere, alte Häuser auf seiner Seite, die ich als Quarantäne für die Kolonisten bestimmt und eins, nämlich des Franz Welker altes Haus, das abgesondert von den anderen steht, habe ich für die Kleine, für die Darja, herrichten lassen. Sie ist für ihre 11 Jahre recht stark und hat noch recht gut Hunger. Ich habe die größte Hoffnung die arme Seele zu retten, denn an ihrem Körper sind keine Pestbeulen zu bemerken.
Ich ließ das Haus gut heizen, genug Brennzeug für sie hinschaffen und als dies alles fertig war, auch der Platz umgegraben, brachte ich sie in das Haus. Ew. Hochw. Können sich nicht vorstellen und ich bin nicht imstande die Freude des Kindes zu beschreiben, als es in das warme kam. Schreckliches hat das unschuldige Kind Tage und Nächte unter Gottes freiem Himmel ausgestanden.
Das Haus ist zu schlecht und daher dachte ich mir, sollte das Mädchen darin sterben, so werde ich das Haus anzünden und verbrennen und der Welker bekommt dafür eins der verlassenen Häuser.
Damit hätte ich meine Schuldigkeit dem Kinde gegenüber getan, was Sie wohl auch, Ew. Hochw., billigen werden Auch hoffe ich sein Leben zu retten. Ihren Vater, den Pavel, laß keine Leute herein, trag das Essen heraus und sei mit dem Gelde vorsichtig. Er aber wie auch seine Frau haben mir nicht gefolgt und die paar gelösten Rubel werden ihnen wahrscheinlich den Tod in ihr Haus gebracht haben.
An der Waise müssen wir jetzt Vaterstelle vertreten. Der Herr Poperenoi hat für sie täglich ein 1 Rubel Nahrung bestimmt und Knoll, der Schulze von Baden, hat es übernommen das Essen zu kochen und ihr zu bringen. Ich habe ihr ein für allemal Töpfe für Wasser, ein Geschirr zum essen, Löffel u. a. geben lassen und gezeigt, wie es in ihr Geschirr eingegossen und alles gegeben werden soll, nämlich: sie bringt ihren Topf bis an die Furche, muß zurückgehen, dann wird ihr eingegossen, Knoll muß zurück und dann holt sie ihr Essen oder Wasser. Knoll ist verboten, ihr Geschirr anzugreifen. Er ist ein vernünftiger und zuverlässiger Mann und für seine Mühe hat ihm Poperenoi 25 Rubel aus seiner Tasche versprochen.
Obschon die Badener gesund sind und ich auch hoffen will, daß der liebe Gott ihnen das Leben schenkt, so fürchte ich doch sehr, denn drei Russen auf der anderen Seite von Selz, wo ein kleiner Chutor ist, sind auch in der Schenke gewesen und haben dort Branntwein getrunken, wovon 2 von ihnen schon tot sein sollen. Gottlob, daß jetzt die Kälte eingebrochen hat, so können wir hoffen, daß dies die Krankheit hemmt.
Also von den sechs Menschen, die im Hause des Schenkers wohnten, ist nur noch die einzige Darja am Leben. Oh, der Himmel gebe mir die einzige Gnade, sie erretten zu können. Auch die Deutschen haben ein besonderes Gebet für sie abgehalten. Gott der Allmächtige wird unser aller Gebete erhören und uns die große Gnade schenken.
Die Rabotniza (Magd) Semjonowa hat eigentlich dem armen Kerl diese Krankheit auf den Hals gebracht. Es muß ein Flüchtling aus der Stadt gewesen sein. Sie war auch in Dalniki und hat sicher auch dort manchen angesteckt. Von dort ging sie über Elsaß und frug wegen einer Dienststelle, ich ließ sie aber davon treiben. Ich glaube sicher, daß es dieselbe war, denn es stimmt mit der Zeit, wo sich eine beim Pavel verdungen hatte. Hätte sie die Wache in Elsaß, wohin sie sich einschlich, nicht zum Dorf hinaus geschafft, so wäre sie womöglich bei jemand hier als Magd für einen kleinen Lohn untergekommen und hätte da natürlich größeres Unglück gebracht.
An dem verbrannten Wirtshause halte ich noch immer eine Wache. Das nicht gerade der Wagen halber, auf denen man die ersten drei Toten, die Magd, den Knecht und das Kind eine Strecke weit nach Straßburg zu gefahren hat, sondern auch des Geldes wegen, daß vielleicht unverbrannt in der Schenke zurückgeblieben sein könnte. Einige Badener haben nämlich verlauten lassen, daß sie Lust hätten, dort zu suchen. Das sind Leute, die nicht allein ihr eigenes Leben nicht zu schätzen wissen, sondern auch andere ins Unglück bringen wollen. Überhaupt habe ich Baden auf 24 Tage abgesperrt, keiner darf aus seinem Dorf raus, denn es scheint mir, daß mehrere, ja sogar viele im Wirtshaus gewesen sind, aber keiner will den anderen verraten. Ich selbst gehe jetzt in kein Haus mehr in Baden hinein, sondern befehle alles von weitem."
1) So spricht man. Die genaue Schreibung gemäß dem Russischen wäre Traktirschtschik (Besitzer eines Traktir, eines Wirtshauses mit Schnapsausschank).
Aus: Johannes Brendel, Aus deutschen Kolonien im Kutschurganer Gebiet. Geschichtliches und Volkskundliches (Schriften des Deutschen Ausland-Instituts Stuttgart, Kulturhistorische Reihe, Band 26), Stuttgart 1930, S. 24-27.