Geschichte der Russlanddeutschen

8 Kulturarchiv

8.2.1 Quellen

8.2.1.7 "EIN POLNISCH LIED"

Ende des 18. Jahrhunderts zogen württembergische Auswanderer nach Ungarn und Preußen. In dem an die 1781 nach Preußisch-Polen auswandernden Württemberger gerichteten Lied wurden Gründe für das Verlassen der Heimat und die Hoffnungen auf das neue Land artikuliert.

1.

Jetzung ist es ausgemacht,
daß der Marsch geht nacher Polen;
man hat es herausgebracht,
daß man kein zurück darf holen.
Tretet eure Reise an
In das Polnisch Kanaan.

2.

Allhier ist es nimmer gut,
dort in Polen ist es besser,
fasset einen guten Mut!
Dort gibt es auch volle Fässer.
Bei dem Bier und Brandwein
Kann man auch vergnüget sein.

3.

Was hilft euch der edle Wein?
Ihr darft doch sehr wenig trinken;
Wollt ihr hier gleich lustig sein,
müßt ihr an die Schulden denken;
diese plagen euch alle Tage,
daß man nicht mehr leben mag.

4.

Großer König Friedrich,
deines Adlers Flügelschatten
trösten unsre Arme sich,
weil es hier nicht geht von statten;
je mehr sich der Arme bückt,
desto mehr wird er gedrückt.


5.

Deine Versorgung ist bekannt,
Großer Friedrich, großer König,
weil in unserm Vaterland
viele Leut und Güter wenig,
und wo man könnt ernten ein,
kommen Hirsch und wilde Schwein.

6.

Diese haben großes Recht
Auch die Früchten zu verderben,
drum ist es allhier so schlecht.
Man läßt niemand was erwerben,
was man hier will sagen an
ist fast all's umsonst getan.

7.

Sitzt hier einer in der Ehr‘,
daß er muß ein Amt verwalten,
da kommt er sogleich daher,
tut den Armen übel halten;
spricht der Arme nur ein Wort,
heißt es gleich: in’s Zuchthaus fort.

8.

Was soll doch der arme Mann
hier auf solche Art anfangen,
weil er sich nicht helfen kann?
Viel tut man von ihm verlangen,
daß er mit sein’m sauren Schweiß
fast nichts aufzutreiben weiß.


9.

Doch wünscht eurem Herzog Glück,
der’s so redlich mit euch meinet;
ob ihr schon der Amtleut Glück
und ihr Treue jetzt beweinet
doch so schreiet Freuden voll:
Karl Herzog, nun lebe wohl!

10.

Nun in Gottes Namen reist,
reiset ihr bedrängte Brüder!
Friedrich ist es, der euch kann
geben viel und große Güter,
denn er ist der große Held
hier in dieser ganzen Welt.

11.

Bleibet Friedrich nur getreu,
er will euch so wohl versorgen;
denket nicht an eure Reu’,
hier will doch euch niemand borgen.
Preußisch Wort, das hält den Stich,
grüßet nur den Friederich!

12.

Nun so lasset uns sein bald
Reisen in das Preußisch Polen,
weil man dorten in dem Wald
kann viel Wachs und Honig holen.
Honig in den Brandenwein,
das mag auch recht köstlich sein.


13.

Honig ist recht zuckersüß,
so kann nichts gefunden werden;
drum so hebe auf die Füß,
springe über Stein und Erden
in das Polnisch Kanaan,
wo man Honig g’nug trifft an.


Aus: Georg Leibbrandt, Die Auswanderung aus Schwaben nach Rußland 1816-1823. Ein schwäbisches Zeit- und Charakterbild, Stuttgart 1928, S. 111f, Anm. 4 = Schriften des Deutschen Auslandsinstituts Stuttgart, Reihe A, Kulturhistorische Reihe, Band 21

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