Geschichte der Russlanddeutschen

8 Kulturarchiv

8.2.5 Schicksalswege — Erinnerungen

8.2.5.3.19 Katharina Torno

k. torno

Ich wurde 1926 in der Stadt Balzer im Wolgagebiet geboren. Dort lebten damals knapp 15 000 Menschen, vorwiegend Deutsche. Obwohl die Stadt noch ziemlich ländlich geprägt war, gab es doch schon eine ansehnliche Industrie und viele Handwerksbetriebe. Mühlen, Spinnereien, Webereien und Färbereien herrschten vor. Mein Großvater besaß einen eigenen kleinen Betrieb. Dort stellte er mit drei seiner Söhne Filzstiefel (russisch: Valenki) her. Als Kind hielt ich mich häufig in der Werkstatt auf. Interessant war es für mich immer, zu beobachten, wie aus der angelieferten Schafwolle in verschiedenen Arbeitsstufen langsam über mehrere Tage die Stiefel geformt wurden. Es wurden verschiedene Arten von Filzstiefeln hergestellt, solche für den Alltag und solche für Sonn- und Feiertage. Letztere waren meistens ganz hell und der Stolz der Leute. Großvater und Vater besaßen für die Fertigung der Stiefel schon einige Maschinen, die mit einem Elektromotor angetrieben wurden. Die meiste Arbeit blieb jedoch Handarbeit. Als ich dann schon etwas älter war, musste ich ab und zu mithelfen. Im Herbst und Winter gab es besonders viel zu tun. Dann wurde die Wolle angeliefert und dann war auch die Nachfrage nach diesen Stiefeln am größten. Nicht immer war ich froh, wenn ich in der Werkstatt aushelfen musste. Doch gleichzeitig kam in mir auch ein bisschen Stolz auf. Filzstiefel herzustellen war eine angesehene Tätigkeit. Großvater, Vater und seine Brüder gehörten zu den bekannten Leuten in der Stadt.

Unsere Familie wohnte zuerst im Haus des Großvaters. Später, als unsere Familie größer wurde, bezogen wir eine Wohnung im eigenen Haus, das nicht weit von dem des Großvaters entfernt war. Wir waren vier Geschwister. Ich als Älteste hatte noch einen Bruder und zwei Schwestern. Meine Mutter arbeitete nicht in Großvaters Werkstatt bei der Herstellung von Stiefeln (das war Männerarbeit), sie ging als Arbeiterin in eine Weberei. Für sie war es nicht immer einfach, dies mit ihren Pflichten als Hausfrau und Mutter zu verbinden. Aber die Familie wollte einigermaßen leben, da wurde auch das Geld gebraucht, das sie mit nach Hause brachte. Trotz ihrer Berufstätigkeit legte meine Mutter viel Wert auf das, was man damals eine gute Haushaltsführung und eine gute Familie nannte.

Besonders deutlich sind mir die Festtage in Erinnerung geblieben. Ostern und Weihnachten wurden bei uns sehr groß gefeiert. Mutter hat immer herrlichen Kuchen gebacken und viele Naschereien vorbereitet. Wir Kinder waren stets sehr aufgeregt, wenn es zu Ostern ans Kochen und Färben der Ostereier ging. Da konnten wir selbst mit Hand anlegen. Jeder von uns wählte die Farben, die ihm am besten gefielen. Nach dem Suchen der gefärbten und zum Teil bemalten Ostereier sind wir dann mit ihnen zu den Nachbarskindern gegangen, um Eier zu schieben. Das Ei, das beim Schieben auf dem Wege in eine kleine Erdvertiefung mit einem anderen zusammenstieß und dessen Schale zerplatzte, musste den Besitzer wechseln. Ich war natürlich stolz, wenn ich nach dem Ende dieses Spiels mehr Eier mit nach Hause brachte, als ich mitgenommen hatte.

Ostern war ein schönes Fest im Frühjahr. Doch noch geheimnisvoller erschien mir das Weihnachtsfest. Es war voller Überraschungen. Draußen lag gewöhnlich hoher Schnee, meistens herrschte strenger Frost und die Dunkelheit kam schon am frühen Abend. Im Mittelpunkt der Festvorbereitung stand das Schmücken des Weihnachtsbaumes. Da es im Wolgagebiet keine Tannen oder Kiefern gab, wurden Laubbäume, eine Birke oder manchmal auch ein entbehrlicher Kirschbaum als Ersatz genommen. Die kahlen Äste wurden mit grünem Papier umwickelt und dann mit dem Üblichen geschmückt, mit Lametta, farbigen Kugeln und Kerzen. Der Aufwand war groß. Deshalb hatte nicht jede Familie einen Weihnachtsbaum. Mehrere Familien feierten gemeinsam. Abwechselnd war in jedem Jahr jemand anderes Gastgeber.

Am Heiligen Abend ging die ganze Familie am späten Nachmittag zum Gottesdienst in die Kirche. Ich erinnere mich noch sehr deutlich an das große steinerne Gebäude, das die Wohnhäuser weit überragte und von weitem für jedermann sichtbar war. Am Eingang der Kirche waren dicke Säulen, zu denen ich mit Staunen hinaufschaute. Nach dem Gottesdienst versammelten sich mehrere Familien bei dem jeweiligen Gastgeber zur Weihnachtsfeier. Wir Kinder warteten sehnsüchtig auf die Bescherung. Gleichzeitig war uns aber auch ein bisschen unwohl. Wussten das Christkind und der Pelznickel von diesem und jenem, was wir vor den Erwachsenen verschwiegen hatten? Das Christkind trug ein langes weißes Kleid mit einem weiten Umhang darüber. Den Kopf umhüllte ein Tuch. Das Gesicht war ebenfalls mit einem in Höhe der Augen durchsichtigen Tuch bedeckt. Wir sollten nicht erkennen, wer sich als Christkind verkleidet hatte. Pelznickel assistierte. Er trug einen Schafspelz verkehrt herum, mit dem Fell nach außen, lange Stiefel und eine tief ins Gesicht gezogene Pelzmütze. Pelznickel war das "ausführende Organ" des Christkindes.

Er trat dann in Aktion, wenn ein Kind nicht brav war. Doch meistens waren wir brav. Alle Anwesenden sangen deutsche Weihnachtslieder. Wir Kinder trugen zu Beginn der Bescherung kleine Sprüche und Gedichte vor. Nur manchmal ermahnte uns der Pelznickel zu besserem Betragen, bevor wir dann unsere Geschenke überreicht bekamen. Wir erhielten Spielzeug und dazu meistens noch ein neues Kleidungsstück oder auch mal ein Paar neue Schuhe. Doch alles war bescheiden, nicht vergleichbar mit dem, was Kinder heute so an Geschenken bekommen. Nach der Bescherung setzten sich alle an die lange Tafel zum Weihnachtsessen, das sich über mehrere Stunden erstreckte.

Ich kann mich nicht beklagen, insgesamt gesehen hatte ich eine schöne Kindheit. Vater war zwar streng, aber auch zugänglich und, wenn es nötig war, verständnisvoll. Mutter umsorgte uns zu Hause und war für die vielen großen und kleinen Sorgen, die meine Geschwister und ich hatten, die wichtigste Ansprechperson. Ich hatte sechs Klassen in der Schule durchlaufen und wollte sie noch bis zur achten Klasse fortsetzen. Doch daraus wurde nichts.

Jäh wurden meine Schulzeit und die beginnende Jugendzeit durch den Befehl Ende August 1941 unterbrochen, dass alle Deutschen das Wolgagebiet innerhalb weniger Tage zu verlassen hätten. Alles ging sehr schnell. Ich erinnere mich an die Deportation nur noch wie an einen schlechten Traum. Wir konnten nur das Allernötigste mitnehmen, etwas zum Essen und ein wenig Kleidung, so viel, wie wir in ein paar Koffern und Körben tragen konnten. Wir wurden mit Fuhrwerken an die Wolga gebracht, dort setzte uns eine Fähre zum östlichen Ufer über, bevor wir dann zum nächsten Bahnhof gefahren wurden. Der Zug war sehr lange unterwegs, über eine Woche. Oft blieb er auf Bahnhöfen stehen, wir mussten manchmal einen ganzen Tag lang warten. Wo es hinging, wussten wir nicht. Irgendwohin nach Osten, nach Sibirien, hieß es unbestimmt. Schließlich kamen wir - von der langen Reise gezeichnet - im Altai-Gebiet an. Wieder standen Pferdefuhrwerke bereit, die uns vom Bahnhof in weit entfernte Dörfer brachten. Wir hatten insofern Glück, als unsere Großfamilie, also auch die Familien der Brüder meines Vaters, zusammen in den gleichen Ort kamen. Viele andere verwandte Familien hatten ein solches Glück nicht; sie wurden auseinandergerissen.

Im Dorf lebten Russen. Ich erinnere mich deutlich, dass wir ziemlich lange auf der Dorfstraße warten mussten. Ich hielt meine kleine Schwester im Arm, sie war erst drei Monate alt. Eine Russin sah uns. Sie hielt mich für die Mutter meiner kleinen Schwester. Vielleicht gab das den Ausschlag dafür, dass sie uns mit in ihr Haus nahm. Die Frau hatte schon ihren Mann im Krieg verloren. Die Aufnahme von Deutschen bereitete ihr sichtbar Überwindung. Trotzdem gab sie uns gleich etwas zum Essen, ein Stück Kürbis und ein paar gekochte Kartoffeln.

Wir hatten im Dorf gerade ein bisschen Fuß gefasst, als zu Beginn des Jahres 1942 alle deutschen Männer im arbeitsfähigen Alter zum Arbeitsdienst eingezogen wurden. Vater kam zum Holzeinschlag in den Ural. Uns Frauen ereilte dieses Schicksal ein knappes Jahr später. Ende Dezember wurden wir abtransportiert. Ich war 16 Jahre alt. Mutter lief lange der Kolonne nach, sie weinte bitterlich, sie wollte mich nicht gehen lassen. Würden wir uns je wiedersehen? War es ein Abschied für immer? Nun, ich habe diese schlimme Zeit überlebt. Doch es vergingen elf lange Jahre, bis wir uns wieder in die Arme schließen konnten.

Wir kamen in ein Lager im Gebiet von Tscheljabinsk. Die Strafgefangenen, die dort bis dahin untergebracht waren, hatte man einen Tag zuvor aus dem Lager geholt und weiter nach Osten oder Norden verlegt. Wir bezogen die hölzernen Baracken. In einem Raum waren bis zu 100 Frauen untergebracht. Wir schliefen auf dreistöckigen Pritschen.
Russlanddeutsche Frauen bei Gleisbauarbeiten

In der Mitte des Raumes stand ein gusseiserner Ofen. An den Wänden krabbelten die Wanzen und anderes Ungeziefer. Gleich am nächsten Tag wurden wir in kleine Gruppen eingeteilt und in den Wald geführt. Eine Vorarbeiterin zeigte uns, wie man Bäume fällt. Es lag hoher Schnee. Nur mit größter Mühe konnten wir ihn zur Seite schaufeln, um Platz für das Abholzen zu schaffen. In der ersten Zeit quälten wir uns furchtbar. Die Arbeit war sehr schwer. Und wir konnten schlecht mit einer Säge und einem Beil umgehen. Erst allmählich gewöhnten wir uns an diese Arbeit. Im Lager waren nicht nurFrauen, sondern auch einige Männer. Doch wir haben nicht gern mit ihnen zusammengearbeitet. Wir Frauen waren ausdauernder. Allein unter uns konnten wir leichter die Norm erfüllen.

Das Essen war äußerst dürftig. Wer die Norm erfüllte, bekam 750 Gramm Brot. Das Brot wurde einmal am Morgen im Speisesaal ausgegeben und musste für den ganzen Tag ausreichen. Zum Frühstück und zum Abendessen gab es dann nur noch eine Suppe. Manchmal schwamm ein bisschen Fisch darin, doch sie war immer sehr dünn und ließ nur für kurze Zeit ein Gefühl des Sattseins aufkommen. Im Sommer konnten wir die karge Verpflegung manchmal mit ein paar Beeren und Pilzen aufbessern, die wir in der Taiga fanden. Viele wurden krank, viele starben an Krankheiten, die durch die Unterernährung bedingt waren. Es war eine harte Zeit für uns. Ich hatte keine direkte Verbindung zu meiner Mutter. Sie konnte nicht schreiben und lesen. Nur über Verwandte und Bekannte waren wir in der Lage, uns mal ein Lebenszeichen zukommen zu lassen.

Jetzt werde ich zuweilen gefragt, was ich damals empfunden habe, welche Hoffnungen ich hatte. Nun, wer unter solchen Bedingungen leben muss, dessen Gedanken kreisen um das Elementarste: Wie kann ich überleben, den morgigen Tag erreichen? Eine meiner größten Sorgen bestand darin, nicht krank zu werden. Das bedeutete oft den Anfang vom Ende. Die dürftige Nahrung reichte in den meisten Fällen nicht aus, um ernstlich Erkrankte wieder auf die Beine zu bringen. Meine Hoffnungen und Wünsche damals: einmal mich richtig satt essen und die Eltern wiedersehen. An mehr dachte ich nicht, andere Wünsche kamen mir nicht in den Sinn.

Ende 1946 wurde der Arbeitsdienst für uns als beendet erklärt. Doch wir durften nicht zu unseren Familien. Es bestand weiterhin Arbeitsplatzbindung und wir Deutschen hatten uns in regelmäßigen Abständen bei der örtlichen Verwaltung zu melden. Von heute auf morgen wurde ich mit vielen meiner Gefährtinnen aus dem Lager nach Tadschikistan in die Nähe von Leninobad gebracht. Dort baute man eine Autostraße, auf der große Lastwagen Erze zu den Hochöfen transportieren sollten. Zu Beginn wurden wir auch dort in Baracken untergebracht. Doch bald bekamen wir Lohn für unsere Arbeit. Wir konnten uns selbst eine Unterkunft suchen und mussten uns selbst verpflegen. In Tadschikistan lernte ich meinen Mann kennen. Er stammte aus der Gegend von Odessa. Während des Krieges geriet er in die Hände der Deutschen Wehrmacht. Nach dem Sieg über Hitlerdeutschland kam er über einige Zwischenstationen auch zum Straßenbau nach Tadschikistan.

Wir haben 1947 geheiratet. 1948 wurde unsere Tochter Ella geboren. Es war für uns sehr schwer, die tägliche Arbeit mit der Fürsorge für das Kind in Einklang zu bringen.
Autostraße in Tadschikistan

Mein Mann war für einen Stützpunkt verantwortlich, auf dem Lkws gewartet und betankt wurden. Gleichzeitig wurden die Geräte ausgegeben, die wir für den Bau der Straße benötigten. Als Ella noch klein war, durfte ich dort eine Zeit lang in der Nachtschicht arbeiten. Unsere Behausung, mehr Hütte als Haus, war in den Berg geschlagen, nur die Vorderseite mit Tür und Fenster bestanden aus Holz. Die anderen Seiten bildete das Gestein des Berges. Die Zimmerausrüstung war mehr als karg: ein breiter Bettkasten, ein grob gezimmerter Tisch, Hocker und ein Herd. Mehr besaßen wir nicht. (Erst später, Anfang der 50er Jahre, bezogen wir ein Zimmer in einem richtigen Haus. Da konnten wir uns dann ein bisschen mehr an Wohnmobiliar leisten.) Früh kochte ich immer so viel, dass unsere Tochter den ganzen Tag über genug zu essen hatte. Das Kochgeschirr mit dem Essen war auf dem Tisch fest verankert. Es sollte nicht umkippen. Manchmal, wenn mein Mann und ich abends nach Hause kamen, hatte unsere Tochter das Essen nicht angerührt. Den ganzen Tag über hatte sie das Bett nicht verlassen. Sie hatte Angst, sie vermutete irgend etwas Böses unten auf dem Fußboden und unter dem Bettkasten. Sehr erschrocken war ich eines Tages bei der Heimkehr von der Arbeit, als ich trotz verschlossener Tür Ella nicht mehr im Zimmer vorfand.

Ich schrie wie verrückt und rannte völlig aufgeregt zu den Nachbarn, um ihnen von dem Unglück zu erzählen. Glücklicherweise klärte sich die Sache schnell auf. Verwandte von uns waren am Nachmittag gekommen und hatten unsere Tochter durch das Fenster geholt und in die Nachbarsiedlung mitgenommen.

1953 - es herrschte noch die Zeit der Kommandantur für uns - wurde unserem Antrag auf Übersiedlung ins Altai-Gebiet stattgegeben. Mein Mann wollte zu seiner Mutter und seinen Schwestern, die nach dem Krieg dorthin zwangsumgesiedelt worden waren. Und auch ich wollte wieder in der Nähe meiner Eltern sein, um sie mal besuchen zu können. Schwiegermutter hatte uns geschrieben, dass es uns bei ihr gut gehen würde. Es war Winter, als wir die lange Reise aus dem warmen Tadschikistan in das kalte Sibirien antraten. Das letzte Stück vom Bahnhof ins Dorf fuhren wir mit einem Lkw mit. Mein Mann hatte dem Fahrer einige Rubel gegeben. Wir verstauten unsere Habseligkeiten hinten auf der Ladefläche. Unsere Tochter und ich nahmen vorn beim Fahrer Platz. Hinten auf dem Wagen saß mein Mann. Nach über drei Stunden Fahrt machte der Fahrer vor einem einsam an der Straße stehenden Gebäude Halt. Wir sollten aussteigen, wir wären am Ziel. Dort hinten läge das Dorf, in das wir wollten. In gutK. Torno mit Ehemann und Tochter drei Kilometer Entfernung sah ich ein paar Hütten, die nur mit den Dächern aus dem meterhohen Schnee herausragten. Alles sah so ärmlich und dürftig aus, überhaupt nicht zum Verweilen. Nur widerwillig kletterte ich aus dem Fahrerhaus und nahm meinem Mann die Sachen ab, die er mir vom Wagen reichte. Kurze Zeit später kam eine Frau aus dem Haus an der Straße und sagte, dass wir wohl die Kinder der Frau Torno dort hinten im Dorf seien. Den Weg dorthin legten wir mit einem Schlitten zurück, den Schwiegermutter organisiert hatte.

ehepaar torno

Die Wohnbedingungen bei der Schwiegermutter waren mehr als schlecht. In dem einen großen Raum des Hauses lebte sie mit ihren drei Töchtern und einer nicht zur Familie gehörenden Frau mit zwei Kindern. Und nun kamen wir drei noch hinzu. Es herrschte eine unglaubliche Enge. Aber was sollten wir tun? Wir hatten das nicht vorhergesehen und umkehren konnten wir nicht. Wir begannen als Melker im Sowchos zu arbeiten. Mein Mann kannte diese Arbeit von früher, seine Eltern waren Bauern.

Für mich war das Melken etwas ganz Neues. Der Geruch der Kühe verursachte bei mir anfänglich einen Brechreiz. Und beim Melken kamen trotz großer Kraftanstrengung nur wenige Tropfen aus dem Euter. Es war zum Verzweifeln. Ich wollte wieder weg von dort. Es bedurfte längerer Zeit, bis ich mich an diese Arbeit gewöhnte. Im Sommer mussten wir dreimal am Tag zum Melken der Herde hinaus auf die Weide.
denkmal trudarmee

Im Winter, wenn die Tiere im Stall waren, reichte es, sie zweimal täglich zu melken. Mein Mann arbeitete als Brigadier bis 1959 in der Viehzuchtbrigade. Jeden Morgen musste er um vier Uhr früh, im Winter Gedenkstätte für Trudarmisten in Tscheljabinsk etwas später, losgehen, um das Futter für die Tiere herbeizuschaffen. Als dann 1954 unser Sohn Viktor zur Welt kam, habe ich das Melken aufgegeben. Fortan habe ich in der Feldbaubrigade gearbeitet. Dort war die Arbeit nicht so schwer und die Arbeitszeit kürzer.

Urlaub kannten wir in dieser Zeit nicht. Nur mal ein kurzer Besuch bei den Eltern, das war alles, was wir uns gönnen konnten. Mein Mann schien als Brigadier unabkömmlich. 1959 sind wir dann nach Kasachstan übergesiedelt. Wir hatten uns inzwischen an die Arbeit im Sowchos gewöhnt. Nein, darin lag nicht der Grund für unseren Weggang. Ausschlaggebend war vielmehr, dass unsere Tochter die vierte Klasse in der Schule beendet hatte. Bis dahin konnten wir es immer ermöglichen, dass wir sie in die fünf Kilometer entfernte Schule bringen konnten. Die Schule ab der fünften Klasse lag jedoch noch weiter entfernt. Internatsplätze gab es dort zwar, doch diese erhielten in erster Linie Kinder von Kriegsveteranen. In Kasachstan hat dann ein neuer Abschnitt in unserem Leben begonnen.

Die Familie Torno lebte von 1959 bis 1993 in Semipalatinsk. Albert Torno arbeitete als Zimmermann beim Hausbau. Katharina Torno, geb. Weber, war dort zuerst in einer Ziegelfabrik tätig, später trug sie bis zu ihrer Invalidität die Verantwortung als Verwaltungschefin für ein Studentenheim.

Tochter Ella absolvierte ein Studium für Technologie in der Fleischverarbeitung und arbeitete viele Jahre im Fleischkombinat von Semipalatinsk, dem drittgrößten in der Sowjetunion. Sie qualifizierte sich dann zur leitenden Ökonomin weiter. In dieser Eigenschaft war sie dann bis 1993 in einer großen Baufirma tätig.

Sohn Viktor arbeitete als Technologe in der Getreidemühle von Semipalatinsk.

1993 sind Katharina und Albert Torno mit der Tochter, dem Sohn und dessen Familie nach Deutschland übergesiedelt.
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