История Россия-немецких

8 Культурный архив

8.2.5 Дороги судьбы - воспоминания

8.2.5.3.23 Irina und Vitalina Poljakova, Jurij Bespalov

Irina Poljakova wurde 1962 in Burino im Gebiet von Tscheljabinsk geboren. Die Mutter ist deutscher Nationalität. Sie arbeitete in der Verwaltung eines Transportunternehmens. Der Vater, russischer Nationalität, war als Ingenieur tätig.

1978 zog die Familie nach Osjorsk. Nach Abschluss der 10. Klasse studierte Irina Poljakova in Tscheljabinsk drei Jahre an der Polytechnischen Hochschule in der Fachrichtung Technologie automatischer Anlagen. Sie beendete diese Ausbildung nicht und begann 1983 als Verwaltungsmitarbeiterin in einer Transportfirma.

Von 1983 bis 1987 war sie mit einem Ukrainer verheiratet. 1984 wurde in dieser Ehe ihre Tochter Vitalina geboren.

Von 1988 bis 1992 absolvierte Irina Poljakova erfolgreich ein Fernstudium für Textiltechnologie. Nach dem Umbruch in der Sowjetunion arbeitete sie bis 1998 in der Verwaltung verschiedener Betriebe, staatlicher und privater.

Jurij Bespalov ist russischer Nationalität. Er wurde 1961 in Osjorsk geboren. Nach der Schule studierte er zunächst Elektrotechnik an der Fachschule. Später setzte er diese Ausbildung durch ein Hochschulstudium zum Diplom-Elektrotechniker fort. Er war in verschiedenen leitenden Funktionen eines staatlichen Energieunternehmens tätig.
sie und kind

Nach einigen Jahren des Zusammenlebens heirateten Irina Poljakova und Jurij Bespalov im Februar 1998.

Sie siedelte mit ihrer Tochter im April 1998 nach Deutschland um. Er folgte ihnen vier Monate später.

Irina Poljakova: Als Kind war ich oft bei meinen Großeltern. Sie stammten aus dem Wolgagebiet und wurden von dort 1941 nach Sibirien deportiert. In ihrem Dorf lebten überwiegend Russlanddeutsche, nur wenige Russen. Es wurde dort viel Deutsch gesprochen. Meine Großmutter konnte kein Russisch. Vor allem von ihr habe ich damals ein bisschen die deutsche Sprache gelernt. Aber später mit dem Beginn der Schule dominierte bei mir Russisch.

Meine Großeltern waren katholisch. Besonders die religiösen Feste wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten wurden nach deutscher Art, nach der Sitte unserer deutschen Vorfahren gefeiert. Meine Großmutter erzählte oft Märchen und sang mir deutsche Lieder vor. Aufgrund dessen besaß ich auch später, als ich schon eine eigene Familie hatte, immer ein besonderes Verhältnis zu Deutschland.

Gestärkt wurde es dann wieder in den 80er und 90er Jahren, als viele Verwandte unserer Familie nach Deutschland übersiedelten. Ich nutzte die Möglichkeit, einige von ihnen dort zu besuchen. Mir gefiel es in Deutschland sehr. Schon äußerlich war hier alles ganz anders als in Russland. Die schönen Häuser in den gepflegten Städten und Dörfern, die modernen Transportmittel, das Überangebot an Waren - all das machte großen Eindruck auf mich.

Nach dem Besuch erschien mir die russische Wirklichkeit noch trister, als ich sie schon vorher wahrgenommen hatte. Die Situation hatte sich in den letzten Jahren weiter verschlechtert. Besonders im Hinblick auf unsere Arbeit war ich besorgt. Vieles war aus den Fugen geraten. Mit dem Gehalt, das Jurij und ich bekamen, konnten wir uns nicht viel leisten. Die Zukunft der Unternehmen, in denen wir arbeiteten, war fraglich. Von heute aufI. und V. Poljakova morgen gingen Betriebe bankrott und setzten die Beschäftigten ohne jegliche soziale Absicherung auf die Straße. Auch wir mussten uns fragen, wie lange wir noch Arbeit haben würden. Eine andere, vernünftige Arbeit zu bekommen war mehr als schwer. Schließlich sind auch wir, Jurij und ich, zu der Entscheidung gekommen, ebenso wie unsere Verwandten nach Deutschland zu gehen. Natürlich habe ich damals nicht alle Probleme überblickt, die eine Umsiedlung mit sich bringt. Mancher Schwierigkeit - wie zum Beispiel eine Arbeit in Deutschland zu bekommen - war ich mir damals noch nicht bewusst. Wir kamen mit großem Optimismus...

Ich und Vitalina sind seit April 1998 in Berlin. Jurij ist einige Monate später gekommen. Bei allen Problemen, die uns hier begegnen, haben wir Grund, nach wie vor optimistisch zu sein. Nachdem zu Beginn unseres Hierseins die vielen Formalitäten erledigt waren und wir eine eigene Wohnung bezogen hatten, besuchte ich einen sechsmonatigen Deutschkurs. Danach bekam ich für eineinhalb Jahre eine ABM-Stelle in einer Einrichtung für interkulturelle Kommunikation. Dort betreuen wir in sozialen Fragen Russlanddeutsche sowie Asylbewerber und Immigranten aus vielen Ländern. Wir führen vielfältige kulturelle und Informationsveranstaltungen durch. Für mich ist die Arbeit interessant. Ich organisiere gern. Da konnte ich viel von meinem Können und meiner Erfahrung einbringen. Und ich bekam ziemlich schnell und unmittelbar in der praktischen Tätigkeit einen tieferen Einblick in verschiedene Bereiche des Lebens. Das wird für mich sicherlich auch später bei einer anderen Arbeit von Vorteil sein.

Einen Nachteil hatte die Tätigkeit für mich allerdings: Ich habe mich überwiegend um Russlanddeutsche gekümmert. Wir sprachen vor allem Russisch. Dadurch haben sich meine Deutschkenntnisse in dieser Zeit nicht so schnell erweitert, wie es eigentlich notwendig wäre. Ich habe immer noch Schwierigkeiten, im Gespräch mit den Einheimischen alles zu verstehen. Und beim Sprechen fühle ich mich nach wie vor unsicher. Zuerst habe ich dieses Problem gar nicht so richtig wahrgenommen. Doch jetzt, wo die eineinhalb Jahre zu Ende gehen, wird es mir zunehmend bewusst. Ich weiß jetzt: Für meine weiteren beruflichen Pläne muss ich dieses Defizit sehr schnell beseitigen und in dieser Hinsicht bedeutend mehr tun als bisher.

Ich möchte die Möglichkeit zu einer Umschulung nutzen. Konkret habe ich mich noch nicht festgelegt. Ich denke an eine Ausbildung als Büro- oder Reisekauffrau. Sicherlich wird es nach der Umschulung nicht einfach sein, gleich einen Arbeitsplatz auf diesem Gebiet zu bekommen. Doch ich werde alles versuchen. Wo ein Wille ist, sollte meines Erachtens auch ein Weg sein. Wir sind erst zweieinhalb Jahre in Deutschland und haben doch schon einiges erreicht: Für mich besteht nach der ABM-Stelle die Aussicht auf weitere berufliche Qualifizierung. Vitalina kommt gut in der Schule zurecht. Und Jurij hat relativ schnell eine Arbeit gefunden.
kulturcentrum

Vitalina Poljakova: Als wir hier ankamen, konnte ich nur wenige Worte Deutsch. Ich bekam die Möglichkeit, ein halbes Jahr lang eine Förderklasse zum Erlernen der deutschen Sprache zu besuchen. Dort lernte ich mit türkischen und anderen Jugendlichen, die erst seit kurzer Zeit in Deutschland waren. Leider hatte mir dieser Kurs nicht viel gebracht. Das Niveau war niedrig. Viele meiner Klassenkameraden hatten wenig Lust zum Lernen. Und seitens der Lehrer wurde vielleicht auch nicht die richtige Methode gefunden, um die wenig Interessierten zu motivieren. Ich war enttäuscht und ziemlich frustriert, als ich bei Kursende immer noch nicht richtig Deutsch konnte.

Als wir im April 1998 aus Osjorsk weggingen, war ich am Ende der 9. Klasse. Nach dem wenig erfolgreichen Deutschkurs bin ich dann hier im Januar 1999 in die 8. Klasse einer Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe gekommen. Dort musste ich von heute auf morgen ohne große Unterstützung zurechtkommen. Und das hat erstaunlicherweise auch schnell geklappt. Von der fachlichen Seite hatte ich überhaupt keine Probleme. In Russland wird in der Schule mehr Wissen vermittelt, vor allem in Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern. Die Lehrer sind strenger. Es herrscht dort mehr Disziplin als hier. In der Praxis habe ich sehr schnell und gut Deutsch gelernt. Andere sagen, dass ich schon sehr gut spreche, nur ein kleiner Akzent ist noch vorhanden.

Ich bin jetzt in der 10. Klasse. Meine Leistungen in den einzelnen Fächern sind gut. Ich bin ehrgeizig. Und noch immer kann ich auf das zurückgreifen, was ich an Wissen mitgebracht habe. In der 10. Klasse nehmen wir hier Unterrichtsstoff durch, den ich schon in Russland gelernt habe. Die einzigen Ausnahmen sind Englisch und Französisch. Diese Fremdsprachen sind für mich neu. Kompliziert war und ist es für mich noch immer, den Rückstand in Englisch aufzuholen. Meine Mitschüler haben schon seit der 5. Klasse Russisches Kammertheater Berlin in der Kulturbrauerei, Berlin-Prenzlauer Berg Englisch; ich hingegen habe damit erst in der 8. Klasse angefangen. Die Schule hat mir leider nicht sehr geholfen, den Rückstand wettzumachen. Meine Mutter und mein Stiefvater unterstützen mich auch in den schulischen Dingen sehr. Bei einem Privatlehrer nehme ich zusätzliche Unterrichtsstunden in Englisch.

Mit meinen Mitschülern hatte ich keine größeren Probleme, besonders mit den Jungs nicht. Sie nahmen mich freundlich und kameradschaftlich auf. Nur manche Mädchen waren mir gegenüber zunächst ziemlich reserviert und zuweilen sogar ablehnend. Sie nahmen es mir übel, dass ich ehrgeizig bin und gute Ergebnisse erreichen möchte. Mittlerweile hat sich das etwas normalisiert. Offenbar akzeptieren sie mich nun so, wie ich bin.

Außerhalb der Schule bin ich in meiner Freizeit meistens mit russlanddeutschen Freunden zusammen. Das ist keine bewusste Abgrenzung von den Einheimischen; das ergibt sich ganz von selbst. Neulich fragte mich jemand, woran das liegt. Nun, ich kann es nicht genau sagen. Es hängt wohl damit zusammen, dass wir Russlanddeutschen, auch wenn wir noch jung sind, uns von den Einheimischen in der Mentalität unterscheiden. Wir haben zum Beispiel eine andere Art, Witze zu erzählen und Spaß zu haben. Wir empfinden die Einheimischen als etwas kühl und weniger aufgeschlossen. Und wir können unter uns Russlanddeutschen natürlich viel besser über das sprechen, was wir in Russland, in unserem alten Zuhause erlebt haben. Jetzt im Winter vermissen wir den Schnee und den Frost. Wir freuen uns über die Briefe und die Neuigkeiten von unseren Freunden in Russland. Freundschaften sind bei uns dauerhafter ... Ja, noch sehe ich diese Unterschiede, zwischen uns, den dazugekommenen und den einheimischen Jugendlichen. Doch ich glaube, sie werden nach und nach verschwinden, ohne dass wir es groß merken.

Ich bin kein großer Fan von Pop-Musik und Diskos. Ich höre lieber zu Hause klassische Musik. Und ich lese viel, russische und deutsche Literatur. Häufig schaue ich mir auch einen guten Film im Fernsehen an. Freitags und sonnabends gehe ich oft arbeiten. Die Arbeit ist zwar nicht sehr interessant, doch mit dem verdienten Geld kann ich mir ein paar Extrawünsche erfüllen, was ich sonst nicht könnte.

Es ist mein Ziel, das Abitur zu machen und dann Zahnmedizin zu studieren. Dafür werde ich mich in der Schule weiterhin anstrengen. Wenn andere Streberin zu mir sagen, dann kratzt mich das nicht ...
Vitalina hat hier in Deutschland alle Möglichkeiten. Es wird hauptsächlich vom ihrem Fleiß und ihrer Zielstrebigkeit abhängen. Sie wird ihren Weg machen, da habe ich keinen Zweifel.
Weihnachtsfeier im Kulturellen Begegnungszentrum, Berlin-Marzahn (1996)

Jurij Bespalov: Ich bin erst mal froh, überhaupt eine Arbeit zu haben. Nach vier Monaten Deutschkurs habe ich zunächst keine Stelle gefunden und dann gewissermaßen als Notlösung begonnen, eine Fortbildung auf dem Gebiet der Elektronik und Computertechnik zu machen. Doch ich begriff sehr schnell, dass dieser Kurs mir, einem gestandenen Diplom-Elektroniker, nichts Neues geben konnte. Schon nach einem Monat habe ich den Kurs abgebrochen und die Prüfung abgelegt. Nicht deshalb, weil ich mir von dem Zertifikat etwas versprochen hätte, sondern mehr aus formalen Gründen. Ich wollte u. a. auch zeigen, dass man wohl zu Unrecht mein Diplom in Elektrotechnik in Deutschland nicht anerkennt.

Bei einer Leihfirma fand ich eine Arbeitsstelle. Ich wurde an ein kleines Unternehmen "ausgeliehen", das im Auftrag von Großfirmen Kabel für moderne Kommunikationszwecke verlegte und die Verteilerkästen zu den Endpunkten in Haushalten und Einrichtungen installierte. Der Arbeitsort war im Berliner Umland. Kurz nach fünf Uhr morgens musste ich aus dem Haus und war erst gegen 20 Uhr wieder zurück, und das Tag für Tag. Das war wirklich eine harte Zeit.

Inzwischen habe ich die Leihfirma gewechselt. Ich mache nach wie vor zwar die gleiche Arbeit, doch jetzt direkt in Berlin, so dass ich fast einen normalen Acht-Stunden-Tag habe. Doch auch diese Tätigkeit liegt weit unter meiner Qualifikation. Und die Bezahlung ist mies. Wir verdienen nur wenig mehr als eine Putzfrau. Das sollte doch nicht normal sein.

Aber ich will nicht herummeckern. Ich bin erst einmal froh, wie schon gesagt, überhaupt etwas gefunden zu haben. Wenn man in ein fremdes Land kommt, muss man meistens von ganz unten, von Null wieder anfangen. Was man vorher gemacht hat, zählt nicht, wenigstens vorerst nicht. Das ist mir klar. Doch was der Kopf akzeptiert, das fühlt das Herz häufig anders. Die Unterforderung in der Arbeit fällt mir immer schwerer. Bislang ist es mir nicht gelungen, da herauszukommen. Es ist immer das Gleiche. Zu Beginn sagt der Chef: "Arbeite dich erst mal bei uns ein und zeige, dass du der richtige Mann in meinem Unternehmen bist. Dann werden wir weiter sehen. Dann wird sich bestimmt was für dich finden, auch mehr Geld." Monate später ist er darauf nicht mehr ansprechbar. Er erwidert: "Wenn dir das, was du jetzt hast, nicht passt, kannst du ja gehen." Da ich bislang keine Alternative gefunden habe, muss ich ausharren.

Ich suche aber weiter. Neulich war ich zu einem Bewerbungsgespräch in Krefeld. Leider hat das letztlich nicht geklappt. Meine Frau und ich sind auch bereit, aus Berlin wegzuziehen, wenn es die berufliche Entwicklung erfordert. Aber vielleicht habe ich schon bald irgendwo mal Glück. Ich gebe nicht auf, zu suchen.

Es ist mir im Allgemeinen nicht schwer gefallen, mich in Deutschland einzuleben. Ich schätze, dass es hier in der Gesetzgebung und in der staatlichen Verwaltung klare Gesetze und Regelungen gibt. Hier braucht niemand bestochen zu werden, es fließt bzw. muss kein Trinkgeld fließen, um das zu bekommen, was einem von Rechts wegen zusteht. Und ich genieße die persönlichen Freiheiten, die ein jeder hat. Ich fühle mich nicht reglementiert. Ich kann reisen, wohin ich will. Ich muss niemanden um Erlaubnis fragen. Das ist schon gut. - Natürlich gibt es auch eine Menge Dinge, die hier ganz anders sind als ich es von Russland her gewohnt bin. Auf der Arbeit macht jeder seins und geht dann. Persönliches kommt nicht zur Sprache. Meistens kennen wir nicht einmal die Nachnamen der Kollegen, mit denen wir schon längere Zeit zusammenarbeiten. Das ist schon etwas komisch ...

Irina sprach davon, dass wir bei allen Schwierigkeiten, auf die wir hier stoßen, doch im Grunde nach wie vor ziemlich zuversichtlich sind. Ja, das stimmt. In der kurzen Zeit haben wir einiges erreicht. Anderes müssen wir noch in die Reihe bekommen. Ich glaube, wir gehen da richtig heran. Wir erwarten nicht, dass es andere für uns tun.
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