Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil 1 1763 - 1820

2 Abwerbung

2.3.3 Tutelkanzlei

Auf Anweisung Katharinas wurde am 22. Juli 1763 eine "Kanzlei der Vormundschaft der Ausländer", als Tutelkanzlei oder Vormundschaftskanzlei bezeichnet, mit Sitz in St. Petersburg geschaffen.

Zum Vorsitzenden dieser Kanzlei, die an ""Macht und Vorzügen" den Staatskollegien (Ministerien) gleichgestellt war, wurde der Vertraute der Zarin Graf Orlow ernannt.

Aufgabe der Tutelkanzlei war es: "alle gerechten Forderungen zu befriedigen", welche die Neuankömmlinge stellten und dafür Sorge zu tragen, dass sie bei ihrem Eintreffen in Russland keinerlei Erschöpfungen unterliegen und ihnen bei erster Gelegenheit provisorische Wohnstätten zugewiesen werden, bis "jeder nach seinem eigenen Wunsche eingewiesen wird."

Das jährliche Budget der Kanzlei belief sich auf 200.000 Rubel. Von diesem Geld sollten die Unterstützungszahlungen an die Kolonisten für den Hausbau wie für den Kauf von Saatgut, Hornvieh, Pferden und Gerätschaften gezahlt werden.

Um die bei der Ansiedlung auftretenden Fragen und Probleme vor Ort lösen zu können, wurden regionale Kontore eingerichtet. Das erste von ihnen war das 1766 in Saratow geschaffene Tutelkontor. Dieses Kontor kann als Träger der im Manifest von 1763 zugesicherten lokalen Selbstverwaltung betrachtet werden.

Nach der Niederschlagung des Pugatschow-Aufstandes (1773-1775) nahm Katharina II. eine Reform der staatlichen Verwaltung in Angriff. Russland wurde in Gouvernements eingeteilt, die in den folgenden Jahren mit Verwaltungsorganen und Behörden ausgestattet wurden. 1782 erfasste diese Reform auch die Sonderverwaltungen für die Kolonien bzw. die Ausländer.

Am 28. April 1782 wurden durch einen Ukas Katharinas II. die Vormundschaftskanzlei in Petersburg und das Vormundschaftskontor in Saratow aufgehoben. Die Kolonisten wurden nun zusammen mit den russischen Kronsbauern, der privilegiertesten Gruppe der russischen Bauern, der Leitung des Kameralhofes in Saratow unterstellt.

Die "kontorlose Zeit" hatte aber nur 15 Jahre Bestand. 1797 hob Zar Paul I. diese Reform wieder auf. Das Tutelkontor wurde wieder eingerichtet. Im Jahre 1800 wurde ein Tutelkontor für Neurussland in Jekaterinoslaw eröffnet. Bei den deutschen Kolonisten blieb die kontorlose Zeit als eine Zeit des Chaos und der Verunsicherung im Gedächtnis haften.

Während der kontorlosen Zeit kam es in einigen russlanddeutschen Kolonien zur Übernahme des "Mir-Systems" link. Das am 4. Juni 1871 von Zar Alexander II. erlassene Kolonistengesetz hob nicht nur alle Privilegien der Kolonisten auf. Sie wurden nun auch der allgemeinen Verwaltung unterstellt. Die bisher für diese Aufgabe zuständigen Kontore wurden geschlossen. Damit war auch die lokale Selbstverwaltung beendet.
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