Auswanderung der Deutschen
Teil 1 1763 - 1820
4 Ankunft im Siedlungsgebiet
4.2 Erste Eindrücke
Der Geraer Zeugmachergeselle Christian Gottlob Züge vermittelt uns auch heute noch einen lebendigen Eindruck über die Enttäuschung, die sich unter den Kolonisten bei der Ankunft in den Siedlungsgebieten breit machte.
In seinem Buch "Der russische Colonist" lesen wir:
"Unser Führer rief halt! Worüber wir uns sehr wunderten, weil es zum Nachtlager noch zu früh war; unsere Verwunderung gieng aber bald in Staunen und Schrecken über, als man uns sagte, daß wir hier am Ziel unserer Reise wären. Erschrocken blickten wir einander an, uns hier in einer Wildniß zu sehen, welche, so weit das Auge reichte, außer einem kleinen Walde, nichts als fast drei Schuh [entspricht etwa einem Meter] hohes Gras zeigte. Keins von uns machte Anstalt von seinem Roße oder Wagen herabzusteigen, und als das erste allgemeine Schrecken sich ein wenig verloren hatte, las man auf allen Gesichtern den Wunsch, wieder umlenken zu können ... Das ist also das Paradies, das uns die russischen Werber in Lübeck verhießen, sagte einer meiner Leidensgefährten mit einer traurigen Miene! ... Es war freilich eine Thorheit von uns gewesen, daß wir uns in Russlands unbewohnten Gegenden einen Garten Eden dachten; die Täuschung war aber dagegen auch allzu groß, dafür eine Steppe zu finden, die auch nicht einmal den mäßigsten Forderungen entsprach. Wir bemerkten in dieser unwirthbaren Gegend nicht die geringsten Anstalt zu unserer Aufnahme, sahen auch im Verlauf mehrerer Tage keine machen, und doch schien, bei dem nicht mehr fernen Winter Eile nöthig zu sein."
Auch wenn die Siedler, wie Züge bemerkt, nach einer näheren Untersuchung der Umgebung feststellten, dass sie anscheinend doch nicht ganz so unfruchtbar zu sein schien wie anfänglich befürchtet, so fanden sie dennoch nicht die ihnen versprochenen Bedingungen vor. Das Holz für den Bau der Häuser lag nicht in ausreichender Menge vor und der Bau der Häuser verzögerte sich. Einige Kolonisten mussten deshalb mehrere Monate in Erdhütten (semljanki) Schutz vor den Unbilden der Witterung suchen.
Die russische Regierung war augenscheinlich durch die hohe Zahl der Kolonisten mit der Organisation der Ansiedlung überfordert.