Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil II 1820 - 1917

6 Kulturelles Leben bei den Russlanddeutschen

6.2 Sitten und Bräuche

6.2.4 Kirchweihe und Schlachtfest

6.2.4.1 Ein Beresaner Bericht

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Die Kirchweihe (Kerwe)

  "Die Beresaner sind ziemlich ernste und gesetzte Leute, aber wenn die Trommel (Trumel) auf "Kerwe" zum Tanz schlägt, vergessen sie allen Lebensernst und geben sich mit Leib und Seele der Fröhlichkeit hin. Vor allem ist es die erwachsene Jugend beiderlei Geschlechts, die zu dieser Zeit vom Geiste der Fröhlichkeit und Tanzlust beseelt ist.

Doch ich muß die vergangene Zeit gebrauchen, denn gegenwärtig wird die Kerwe nicht mehr so festlich begangen, wie in den alten Zeiten, vor etwa 50 Jahren.
Schon am Freitag und Samstag vor Kerwe hatten die Weibsleute alle Hände voll zu tun. Der Hof wurde gründlich gereinigt und gefegt, die Gassenmauern wurden geweißt, Speicher, Keller und Kammer einer gehörigen Reinigung unterzogen. Ebenso wurde in der Küche und den Wohnstuben alles geputzt und in Ordnung gebracht. Dann wurde geschlachtet (gemetzelt) und Kuchen gebacken, denn ohne Bratwürste (Brotwerscht), Schwartemagen, Schinken (Schunken) und Kuchen konnten die Beresaner keine Kerwe halten. Wenn der Beresaner das ganze Jahr trockenes Brot aß und Wasser trank, aber auf Kerwe mußten Kuchen, Bratwürste und Wein auf dem Tisch sein, denn "s' isch nur emol Kerwe im Johr". Zur Kerwe wurden auch gewöhnlich Gäste von auswärts, d.h. von andern Kolonien eingeladen, die auch stets zur Zeit eintrafen.

Gewöhnlich war der Landauer Jahrmarkt (den 6. Oktober) der Ort, wo die gegenseitigen Einladungen stattfanden. Während dessen hatten die großen Buben alles zur Feier der Kerwe vorbereitet.
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Es war ein Tanzhaus (gewöhnlich im Wirtshaus) gemietet, Musikanten bestellt, der Kerwestrauß mit einem roten Tuch und einer Flasche Wein vor dem Tanzhaus auf einer Stange aufgesteckt. Wenn dann am Kirchweihsonntag die Vesper aus war, stieg der Trommelschläger auf das Dach des Tanzhauses und trommelte die Einladung zum Beginn der Kerwe. Auf dieses Zeichen wallten dann alle Groß und Klein, Alt und Jung, oft auch die Großväter und Großmütter, nach dem Tanzhaus, wo einer von den großen Buben, als gewählter Festordner, alle in das Haus einlud und ihnen Plätze anwies. Dann begannen die Musikanten, die vorn auf einer hohen Bank saßen, ihre lustigen Weisen und das Tanzen nahm seinen Anfang. Es soll auch vor alten Zeiten vorgekommen sein, daß der Oberschulze (in Landau) mit seinem ganzen Beamtenstab und deren Frauen im Tanzhaus erschienen, und einer von den Beamten mit der Oberschülzin die drei ersten Reigen tanzte. Nachher nahm dann das allgemeine Tanzen seinen Anfang. Jeder Bursche tanzte gewöhnlich mit seinem Mädchen (Mensch) die ersten Reigen, dann mit verwandten und bekannten Mädchen oder mit jungen Frauen.

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Bei den Mädchen galt es als das größte Unglück, wenn sie nicht tanzen durften und den sogenannten "Schimmel" halten mußten. Dagegen wurden diejenigen Mädchen beneidet und glücklich gepriesen, die keinen einzigen Tanz hatten sitzen müssen und wenigstens ein Paar Schuhsohlen auf Kerwe durchgetanzt hatten. Der Ausdruck "die hat's Geriß" ist das höchste Lob und der größte Stolz einer so vielbegehrten Tänzerin. Die Tänze, welche getanzt wurden, waren gewöhnlich Walzer. Ebenso waren beliebt: Der Siebensprung und der Schottische Tanz oder Träppler und die russischen Tänze Polka-Masurka und der Kasatschock. Beim Tanzen bekamen die Tänzer und die Tänzerinnen auch Hunger und Durst. Um den Hunger zu stillen, wurden Bratwürste mit Krautsalat oder gekochter Schinken mit sauren Gurken gegessen und, um den Durst zu löschen, standen einige Wasserkübel voll Wein auf dem Fenster, wo jeder nach Belieben mit Schöpflöffeln trinken konnte. Um 12 Uhr nachts wurde von der Polizei Feierabend geboten und das Tanzen wurde unterbrochen, um am Montag und Dienstag nach dem Frühgottesdienst wieder fortgesetzt zu werden. Am Dienstagabend war die eigentlichen Kerwe zu Ende, und wenn am Mittwoch und Donnerstag noch getanzt wurde, so wurde dies die Nachkerwe genannt.

Bei dieser Nachkerwe waren schon meistens junge Männer und Frauen und auch oft alte Großväter und Großmütter die Tanzenden, und es ging da oft hoch her, weil die Alten "deutschländerisch" tanzten, was für die Zuschauer der höchste Genuß war. Am Donnerstagabend wurde dann gewöhnlich die Kerwe begraben. Ein komischer Kerl (Spuchtemacher), der Mutterwitz hatte und seine Stimme verstellen konnte, maskierte sich, hüllte sich in ein weißes Tuch und zog mit noch andern verkleideten Personen und allen Festteilnehmern und der Straßenjugend unter dem Klang der Musik an den Ort, wo die Kerwe begraben werden sollte. Dort angekommen, wurde eine Grube gegraben, die Weinflasche und das rote Tüchlein vom Kerwestrauß abgenommen und in die Grube versenkt. Während die Grube zugeworfen wurde, erhob die ganze Gesellschaft ein jämmerliches Geheul, es wurde mit Eimern und Gießkannen getrommelt, was eine furchtbare, ohrenzerreißende Katzenmusik absetzte. Nachher wurde es stille und alle gingen nach Hause."
 
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