Auswanderung der Deutschen
Teil II 1820 - 1917
6 Kulturelles Leben bei den Russlanddeutschen
6.2 Sitten und Bräuche
6.2.1 Familienleben
6.2.1.10 Kleidung – ein Kolonist erzählt
"Die Kleidung der Männer war früher die aus der alten Heimat mitgebrachte. Lederschuhe mit Schnallen für den Sonntag und Holzschuhe für den Werktag, die Beinkleider (Hosen), die Weste mit silbernen Knöpfen und der Rock (Frack) waren aus blauem Tuche, das Hemd mit Stehkragen, ein Filzhut, oft auch Cilinder bei den Reichen, bei den Ärmeren eine blaue Mütze mit langem Schild; das waren die Kleidungsstücke unserer Urgroßväter. Heut zu Tage ist das bei den Kolonisten anders geworden. Die Kolonisten kleiden sich heute modern, herrenmäßig, und wenn sie gerade kein Geld haben, borgt ihnen der Handelsjude, bis zur neuen Ernte.
Ein Anzug von feinem Tricot, feine Wäsche, ein weißer oder farbiger Strohhut, nette Stiefeletten, das ist gewöhnlich die Kleidung eines wohlhabenden Kolonisten. Die Ärmeren müssen sich eben nach der Decke strecken, und anstatt Tricot Vucksin und andere billige Stoffe tragen. Im Winter kommt zu der genannten Kleidung bei den Reichen noch ein Paletot oder Wolfspelz, bei den Armen ein Schafspelz. Viel vielfältiger und reichhaltiger ist die Kleidung der Kolonistinnen. Die Schuhe, Strümpfe, Hemden, Röcke, Jacken und Schürzen der Frauen und Mädchen sind meistens buntfarbig gestreift, und von einem Schnitt, der aber beinahe jedes Jahr wechselt, nur der Stoff ist verschieden.
Die Reicheren tragen Kleider von Seide und anderen theueren Geweben, die Ärmeren kaufen gewöhnlich Baumwollenzeug zur Kleidung. Die Kopftücher sind auch bei den Unbemittelten meistens aus Seide. Auch fangen die Mädchen, besonders im Beresan, schon an, Hüte zu tragen, also ganz modern, In manchen Kolonien gibt es auch reiche Kolonistentöchter, die 60-70 Kleider (Röcke) in ihrer Garderobe haben. Bei den Katholiken tragen die Frauen und Mädchen, als Halsschmuck, silberne oder goldene Kreuzchen und Medaillons."