Auswanderung der Deutschen
Teil II 1820 - 1917
6 Kulturelles Leben bei den Russlanddeutschen
6.2 Sitten und Bräuche
6.2.1 Familienleben
6.2.1.2 Weihnachten
Das Weihnachtsfest wurde von den Kolonisten Russlands gefeiert, wie es in ihrer alten Heimat Brauch war. Das Fest dauerte drei Tage. Danach feierte man Neujahr und in den katholischen Kolonien das Fest der Heiligen Drei Könige.
"Am Heiligabend wurde im Betsaal ein mit Kerzen und Glasschmuck geputzter Weihnachtsbaum aufgestellt. Unter diesem Baum befanden sich Körbe mit Naschereien wie Süßigkeiten, Äpfel und Walnüsse. Auch zu Hause wurden Weihnachtsbäume aufgestellt. Da es je nach Standort der Kolonie schwierig war, Tannenbäume zu besorgen, mussten als Ersatz auch andere Baumzweige herhalten.
Zunächst fand die gemeinsame Christfeier der Gemeinde im Betsaal statt. Nach Sonnenuntergang und dem Verklingen des ersten Glockengeläutes versammelten sich alle dort.
Das anschließende zweite Glockengeläut endete erst nach dem Singen des ersten Chorals durch die Gemeinde. Danach kamen die größeren Schuljungen, die das Läuten besorgt hatten, auch in den Betsaal. Gemeinsam sang man Weihnachtslieder. Vor dem Gebet, dem Erzählen der Weihnachtsgeschichte und einer folgenden kurzen Andacht sang der Kinderchor "Stille Nacht, Heilige Nacht". Die Texte des alten Testaments mit den Prophezeiungen der Geburt Jesu wurden in Form von Fragen und Antworten der Schüler in Erinnerung gebracht. Dazwischen sang man Weihnachtslieder.
Nach dieser Zeremonie ergriffen die Männer die Körbe mit den Naschereien und verteilten den Inhalt an die noch nicht schulpflichtigen Kinder.
Im Anschluss erfolgte ein kurzes Gebet und nach dem Gesang des Liedes "Oh, du fröhliche..." machte sich die Gemeinde frohen Mutes auf den Nachhauseweg.
Dort begann dann die eigentliche Bescherung; die war vorwiegend auf Äpfel, Naschereien und Kleidung beschränkt. Es wurden ebenfalls Weihnachtslieder gesungen. Bei Familien mit kleineren Kindern erschien zur Bescherung das Christkind. Auch der Weihnachtsmann war in einigen Gegenden schon bekannt.
Um Alten und Kranken, die nicht an der Feier der Gemeinde teilnehmen konnten, eine Freude zu machen, war das Christenachtsingen weit verbreitet. Einige Gemeindemitglieder versammelten sich vor dem Haus der betreffenden Personen und erfreuten sie mit einem Ständchen. Am Heiligabend ging man spät ins Bett. Die nachfolgenden Feiertage wurden für Verwandten- und Bekanntenbesuche genutzt. Dabei war man teils Gast, teils Gastgeber."