Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges veränderte sich die Situation für die Russlanddeutschen schlagartig. Die russische Regierung verabschiedete 1915 zwei Gesetze, die bereits von den Zeitgenossen als "Liquidationsgesetze" bezeichnet wurden, denn beide zielten auf die Lebensgrundlage der deutschen Siedler, den Landbesitz.
Am 2. Februar 1915 wurde das 1. Liquidationsgesetz auf dem Weg einer nur vom Zaren bestätigten Notverordnung an der Duma vorbei in Kraft gesetzt.
Das Gesetz bestimmte,
- dass alle Personen deutscher, österreichischer und ungarischer Nationalität, die nach dem 1. Januar 1880 russische Staatsbürger geworden waren, in einer Zone von 150 Werst entlang der Grenze zu Deutschland und Österreich-Ungarn sowie in einer Zone von 100 Werst entlang der Küste von Ostsee, Schwarzem und Asowschem Meer ihren Grundbesitz innerhalb von zehn (150 Werst-Zone) bzw. sechzehn Monaten (100 Werst-Zone) zu verkaufen hatten.
- dass Personen, die zur orthodoxen Kirche übertraten, von dieser Regelung ausgenommen blieben. Dies betraf auch Kolonisten, die selbst oder deren Söhne als Offiziere oder als Freiwillige an der Front dienten.
- Das den Kolonisten bei der Ansiedlung überlassene Land blieb von dieser Regelung zunächst ausgeschlossen.
- Alle Miet- und Pachtverhältnisse mussten innerhalb eines Jahres aufgelöst werden.
Am 13. Dezember 1915 trat das 2. Liquidationsgesetz in Kraft.
- Die Bestimmungen des 1. Liquidationsgesetzes wurden auf alle Grenzgouvernements ausgedehnt.
- Die betroffenen Bauern hatten das Land an die Bauernbodenbank zu verkaufen, die es dann an russische Bauern weiter verkaufen sollte, vor allem an solche, die sich im Krieg ausgezeichnet hatten.
- Auch das den Kolonisten bei der Ansiedlung übergebene Land wurde in die Liquidation einbezogen.
Infolge der Zwangsverkäufe fielen die Bodenpreise auf einen Bruchteil des Vorkriegswertes, so dass faktisch von einer Enteignung gesprochen werden kann.
Aus den westlichen Gebieten Russlands wurden ca. 110.000 Deutsche nach Sibirien und dem Südosten des Russischen Reiches deportiert. Im Gouvernement Wolhynien war die
Deportation der ländlichen deutschen Bevölkerung bis zum 20. Juli 1915 abgeschlossen.
Da negative wirtschaftliche Folgen zu befürchten waren, wurde eine
Aussetzung der Liquidationsgesetze in Südrussland verfügt.
Im August 1916 und Anfang 1917 erfolgte eine Ausdehnung des Geltungsbereich der Liquidationsgesetze auf fast ganz Russland. So wurden für die Wolgadeutschen am 16. Februar 1917 Enteignung und Zwangsverkauf beschlossen. Eine Umsetzung der Gesetze in vollem Umfang verhinderte die Februarrevolution. Die Provisorische Regierung setzte sie am 11. März 1917 vorläufig außer Kraft.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren sie in Wolhynien jedoch weitgehend realisiert. Für das Schwarzmeergebiet liegen folgende Zahlen vor:
Im Gouvernement Cherson waren 100.000 Desjatinen = 12% des deutschen Grundbesitzes, auf der Krim 60.000 Desjatinen = 7%, in Bessarabien 80.000 Desjatinen = 33% enteignet worden.