Auswanderung der Deutschen
Teil III 1917 - 1955
2 Russlanddeutsche in der Sowjetunion der 20er Jahre
2.4 Im Kampf gegen den Hunger
2.4.3 Internationale Hilfe. "Nansenhilfe" und andere Aktionen
Im Zusammenwirken von Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale und Sowjetregierung entstand am 12. August 1921 in Berlin das Auslandskomitee zur Organisierung der Arbeiterhilfe für die Hungernden in Sowjetrussland. Aus ihm ging wenig später die Internationale Arbeiterhilfe (IAH) hervor, die Clara Zetkin leitete. Das deutsche Reichskomitee der Arbeiterhilfe für Sowjetrussland sammelte bis 1922 dreiunddreißig Millionen Mark an Sachwerten und sieben Millionen Mark Bargeld. Im gleichen Zeitraum übersandte der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund über acht Millionen Mark an den Internationalen Gewerkschaftsbund für die Hungernden in Sowjetrussland. Bis zum Frühjahr 1922 beteiligte sich die von der II. Internationale initiierte "Proletarische Hilfskampagne" an den Unterstützungsaktionen.
Der erste Dampfer mit Spenden deutscher Werktätiger verließ am 15. Oktober 1921 den Stettiner Hafen, ihm folgten bis 1922 weitere 16.
Beträchtlich waren Hilfe und Unterstützung, die das Komitee Künstlerhilfe (Oktober 1921) unter Leitung des bekannten Regisseurs Erwin Piscator organisierte.
Das Hilfswerk der deutschen Reichsregierung mit fünf Millionen Mark für Seuchenbekämpfung u. a. nahm sich dagegen recht bescheiden aus. Antisowjetische Erwägungen hielten Industrie- und Bankkapital von der Bereitstellung größerer Mittel ab. Hingegen waren die Behörden wenig bescheiden, wenn es darum ging, für den Transport von Spenden und Hilfsgütern gesellschaftlicher Organisationen hohe Summen zu erheben.
Am 20. August 1921 schloss die ARA (The American Relief Administration) mit der Sowjetregierung einen Vertrag über Hilfsleistungen. Die ARA richtete namentlich an der Wolga Speisehallen, medizinische Stützpunkte, Kinderheime für Waisen u. a. ein und versorgte sie mit Lebensmitteln und Medikamenten.
Am 27. August 1921 unterzeichnete der Polarforscher Fridtjof Nansen als Vertreter einer internationalen Konferenz des Roten Kreuzes mit der Sowjetregierung einen Vertrag über humanitäre Hilfe. Dabei wurde vereinbart, dass die Verteilung der Hilfslieferungen durch sowjetrussische Stellen erfolgen sollte, was angesichts der außenpolitischen Isolierung des Landes ein Stück Normalität bedeutete. Die "Nansenhilfe" erfuhr denn auch allseits die offizielle sowjetrussische Würdigung.
Nansen, ein Humanist und Pazifist, hatte sich im Völkerbund energisch für breite internationale Hilfsaktionen eingesetzt, jedoch die zögerliche Haltung der Regierungen und Monopole erfahren müssen. Er schrieb u. a.:
"Wir bitten sämtliche Regierungen Europas um 5 Millionen Pfund Sterling insgesamt. Das ist nur die Hälfte von dem, was ein modernes Schlachtschiff kostet. Die Regierungen wollen aber nicht ..."
Eine andere, hier beispielhaft erwähnte Hilfsquelle stellte der im August 1919 in Berlin gebildete Verein der Wolgadeutschen dar. Ihm gehörten u. a. Pastor Johannes Schleuning und der einstige Unternehmer Friedrich Schmidt an.
Der Verein schaffte, unterstützt vom Deutschen Roten Kreuz, 1922 sieben Hilfstransporte mit Bekleidung, Lebensmitteln und Medikamenten nach Saratow. Ein achter Transport war über ein Jahr unterwegs. Er kam im Dezember 1924 an, noch rechtzeitig, um zur Linderung einer neuerlichen Hungersnot beizutragen.
Die Gelder für die Hilfsgüter wurden durch Spenden wolgadeutscher Emigranten aufgebracht. Wolgadeutsche aus Nord- und Südamerika spendeten ebenfalls. Ihre Gelder wurden vorwiegend für den Kauf und Transport von landwirtschaftlichen Maschinen, Vieh, Seuchen- und Schädlingsbekämpfungsmitteln für die Wolgakommune eingesetzt.