Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil III 1917 - 1955

1. Die Oktoberrevolution und ihre Auswirkungen auf die Russlanddeutschen

1.7 Kampf um die Sicherung der bolschewistischen Macht in den Jahren 1918 bis 1920

1.7.1 Russlanddeutsche im Bürgerkrieg

1.7.1.1 Banden/Bürgerkrieg in der Ukraine

Der Historiker Alfred Eisfeld beschreibt in seinem Buch "Die Russland-Deutschen" das Auf und Ab des Bürgerkriegs in der Ukraine sehr anschaulich wie folgt:

  "Wohl am härtesten wurden während der Bürgerkriegskämpfe die Kolonien im Gouvernement Ekaterinoslav in Mitleidenschaft gezogen. Sie waren gleich nach dem Abzug der deutschen Truppen der anarchistischen Machno-Banden ausgesetzt. Die Mennoniten der Bezirke Prisib und Molotschnaja sahen sich gezwungen, zum erstenmal in ihrer Geschichte das Prinzip der Wehrlosigkeit aufzugeben und ihre Dörfer mit der Waffe in der Hand zu verteidigen.

Zu ersten größeren Kämpfen kam es Ende Dezember [1918]. Gegen die vorrückenden Banden Machnos wurde die gemeinsame Verteidigung der katholischen Kolonie Blumental organisiert. Sie bildete den Zugang zu den Kolonien vom Norden her. Die Kämpfe dauerten bis zum 10. März 1919.

Nachdem der Selbstschutz den zahlenmäßig weit überlegenen Angreifern weichen mußte, begann die Flucht mehrerer tausend Kolonisten auf die Krim.

Der mennonitische Selbstschutz hatte vor, nur gegen Banden zu kämpfen. Im März 1919 hatte sich Machno vorübergehend mit der Roten Armee verbündet, und es kam bei den Abwehrkämpfen versehentlich auch zu einem Gefecht mit Einheiten der 33. Division der Roten Armee. Nach Bekanntwerden des Irrtums legten die Mennoniten die Waffen nieder, ihre Position war aber gefährdet. Das Gebiet wurde von März bis Juli 1919 von Machno kontrolliert. Während dieser Zeit wurde an Angehörigen des Selbstschutzes Rache genommen.

Eine vorübergehende Beruhigung trat nach dem Vorstoß Denikins nach Innerrußland in den Monaten Juli bis Oktober 1919 ein. Im Spätsommer konnte Machno die Front Denikins durchbrechen und bedrohte erneut die Kolonien. Anfang Oktober wurde die Stadt Aleksandrovsk (Zaporosch'e) und die nahegelegenen Kolonien Chortica, Einlage u.a. besetzt. Bis Januar 1920 wurden die Kolonien wiederholt geplündert und die Bevölkerung gnadenlos terrorisiert. In der Kolonie Eichenfeld (Dubovka) wurden in einer Nacht 81 Männer und 4 Frauen getötet. Von der männlichen Bevölkerung über 16 Jahren blieben nur 2 Greise am Leben. Weitere 6 Kolonien des Chortica-Bezirks wurden niedergebrannt.

Während dieser Phase gab es massenweise Vergewaltigungen. Die bis dahin in den Kolonien nicht auftretenden Geschlechtskrankheiten und der Flecktyphus griffen um sich. Vom Typhus war fast die ganze Bevölkerung befallen, und die Sterberate stieg vielerorts über 10% der Bevölkerung.

Geplündert und niedergebrannt wurden aber nicht nur Kolonien, die sich zur Wehr gesetzt haben. Die 17 Gemeinden des Kreises Sagradovka blieben wehrlos. Sie wurden am 29. November 1919 überfallen. 6 Dörfer wurden niedergebrannt, und 214 Personen, darunter zahlreiche Kinder, kamen bei dem Massaker zu Tode.

Im Verlauf des Jahres 1920 wurde das Gebiet der Kolonien an den Molotschnaja erst von Einheiten der Roten Armee besetzt, dann im Sommer wieder von der Freiwilligen (Weißen) Armee des Generals Wrangel. Der Bürgerkrieg ging in der Ukraine und auf der Krim erst nach der Eroberung der Krim durch die Rote Armee und dem Abzug der Reste der Wrangel-Armee nach Konstantinopel zu Ende.

Einen anderen Verlauf hatte der Bürgerkrieg in den Kolonien bei Odessa. Der »Verband der deutschen Kolonisten im Schwarzmeergebiet« wurde von den Bolschewiki aufgelöst. Der »Kleinhäusler-Verband« konnte jedoch tätig bleiben. Auf dem Kongreß des »Kleinhäusler-Verbandes« im Mai 1919 lehnten seine Führer Rotheker und Kösel die Forderung nach der Einführung der Diktatur des Proletariats entschieden ab und forderten die Durchführung freier, geheimer Wahlen. Das Wahlrecht sollte nicht an Besitz gebunden sein, d.h. es sollte niemanden aberkannt werden.

Zur Ausweitung der Sowjetmacht wurden in Odessa und den nahegelegenen Kolonien Funktionäre der kommunistischen Internationale Sadoul und Balabanova eingesetzt. Sie sollten die Arbeit der ausländischen Kommunisten leiten, die zur deutschen Sektion der kommunistischen Partei der Ukraine gehörten. Das »Revolutionskomitee der deutschen Kolonisten« bestand aus deutschen und österreichischen Kommunisten. Der Vorsitzende war Oskar Sirkis, sein Stellvertreter hieß Gerhard.

Das »Revolutionskomitee« versuchte auf Weisung der Odessaer Sowjets, Kolonisten für die Rote Armee zu mobilisieren. In der heftig verlaufenen Gemeindeversammlung in Großliebental am 20. Juli 1919 kam es zu schweren Auseinandersetzungen und zum Schluß zu Erschießungen. Dieser Aufstand weitete sich auf die benachbarten Kolonien Kleinliebental, Selz, Worms u.a. aus. Ihm schlossen sich auch russische und ukrainische Bauern an. Die Strafexpedition begann am 5. August mit dem Angriff eines Kommandos aus Odessa auf Großliebental. Der Angriff konnte nicht abgewehrt werden. In Großliebental gab es 20 Tote, in Kleinliebental 22, in Selz 87 und in Worms 12. Der Aufstand weitete sich aber auf den Hoffnungstaler Kolonistenbezirk aus. Unter der Leitung des Generals Schöll, eines Kolonistensohnes, wurde in Zusammenarbeit mit dem wiederbelebten »Verband der deutschen Kolonisten« ein Selbstschutz organisiert. In den Kolonien des Bezirks wurde ein Kriegsrat aus Oberschulzen, Schulzen, Lehrern u.a. gebildet. Dem Kriegsrat gehörte auch der Offizier Gottlieb Hassell an. Zusammen mit russischen und ukrainischen Bauern haben die Kolonisten die Bahnlinie Odessa-Kiev unterbrochen, wurden aber am 12. August 1919 von Einheiten der Roten Armee geschlagen und mußten fliehen. Die Plünderungen der Kolonisten dauerten nur wenige Stunden, da die Roten sich zurückziehen mußten. Denikins Truppen zogen in Odessa ein.

Der Selbstschutz blieb bestehen. Eine Freiwilligenabteilung von 300 Mann beteiligte sich an der Bewachung der Stadt Odessa. Beim Rückzug der Weißen Truppen gingen Kolonisten, die im Selbstschutz und als Freiwillige in der Armee Wrangel gekämpft hatten, ins Ausland."

Quelle: Alfred Eisfeld: Die Russland-Deutschen. Studienbuchreihe der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat, Band 2, München 1992, S. 90 ff.

 
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