Auswanderung der Deutschen
Teil III 1917 - 1955
Die Russlanddeutschen unter der Sowjetmacht
3 Stalinistische Herrschaft und Russlanddeutsche
3.1 Kollektivierung, Entkulakisierung und daraus resultierende Hungersnot 1932/33 und die Russlanddeutschen
3.1.3 Die Hungersnot 1932/33
3.1.3.2 Briefwechsel Scholochow - Stalin
Brief von Scholochow an Stalin vom 4. April 1933:
"Genosse Stalin!
Der Distrikt Weschenski hat, wie viele andere Distrikte im nördlichen Kaukasus, den Lieferplan für das Getreide nicht wegen irgendeiner "Kulakensabotage", sondern wegen der schlechten Lokalpolitik der Partei nicht erfüllt ...
Im letzten Dezember hat das Regionalkomitee der Partei zur "Beschleunigung" des Steuereinzugs den Genossen Owtschinnikow als "Bevollmächtigten" geschickt. Dieser hat folgende Maßnahmen getroffen.
- 1. Beschlagnahmung des gesamten verfügbaren Getreides, einschließlich des "Vorschusses", den die Kolchoseleitung den Kolchosebauern zum Aussäen der nächsten Ernte gegeben hatte.
- 2. Aufteilung der von jeder Kolchose dem Staat noch geschuldeten Lieferung auf die einzelnen Familien.
Was haben diese Maßnahmen bewirkt? Als man mit den Beschlagnahmungen anfing, versteckten sich die Bauern und vergruben das Korn. Und nun ein Wort zu den Zahlen, die diese Beschlagnahmungen erzielten. "Gefundenes" Getreide: 5.930 Doppelzentner ... Und hier einige Methoden, mit denen man zu jenen 593 Tonnen kam, die teilweise seit 1918 vergraben waren.
Die Kältemethode ... Man zieht den Kolchosebauern aus und setzt ihn splitternackt in einer Scheune "der Kälte" aus. Oft setzte man die Kolchosebauern in ganzen Brigaden "der Kälte" aus.
Die Hitzemethode. Man übergießt die Füße und die Rockzipfel der Kolchosebäuerinnen mit Kerosin und zündet beides an. Dann löscht man alles wieder und beginnt von vorne ...
In der Kolchose Napolowski zwang ein gewisser Plotkin, "Bevollmächtigter" des Distriktkomitees, die verhörten Kolchosebauern, sich auf einen glühendheißen Ofen zu legen und sperrte sie hinterher zum "Abkühlen" nackt in eine Scheune ...
In der Kolchose Lebjatschenski stellte man die Kolchosebauern an einer Mauer auf und simulierte eine Hinrichtung ...
Ich könnte die Liste mit Beispielen solcher Art endlos fortsetzen. Es sind keine einzelnen Fehlgriffe, sondern gängige Methoden beim Einzug des Korns ...
Wenn Ihnen mein Brief der Aufmerksamkeit des Zentralkomitees wert scheint, so schickt wahre Kommunisten hierher, die den Mut haben, alle diejenigen, die dem Aufbau der Kolchosen in diesem Distrikt jenen tödlichen Schlag versetzt haben, zu entlarven ... Sie sind unsere einzige Hoffnung.
Ihr Michail Scholochow"
Und Stalins Antwort an M. Scholochow vom 6. Mai 1933:
"Lieber Genosse Scholochow,
ich habe Ihre beiden Briefe erhalten. Die Hilfe, um die Sie gebeten haben, wird gewährt. Ich habe den Genossen Schkiriatow geschickt, um die Angelegenheiten, von denen Sie sprechen, aufzuklären. Ich bitte Sie, ihm dabei zu helfen. Aber das ist noch nicht alles, was ich Ihnen sagen will, Genosse Scholochow. Ihre beiden Briefe zeichnen nämlich ein Bild, das ich als nicht objektiv bezeichnen möchte, und dazu will ich Ihnen ein paar Worte schreiben.
Ich habe mich für Ihre Briefe bedankt. Sie decken eine leichte Erkrankung unseres Apparates auf und zeigen, daß einige unserer Parteifunktionäre zwar der Sache dienen, d. h. unsere Feinde entwaffnen wollen, dabei aber unsere Freunde angreifen und sogar regelrecht sadistisch werden können. Aber das bedeutet nicht, daß ich IN ALLEM mit Ihnen einverstanden bin. Sie sehen einen Aspekt der Dinge, und den sehen Sie durchaus richtig. Aber es ist nur ein Aspekt der Dinge. Damit man sich in der Politik nicht irrt – denn bei Ihren Briefen handelt es sich nicht um Literatur, sondern um reine Politik –, muß man auch den anderen Aspekt der Realität sehen können. Und der andere Aspekt ist die Tatsache, daß die geschätzten Bauern Ihres Distrikts – und nicht nur diese – gestreikt und sabotiert haben und auch bereit waren, die Arbeiter und die Rote Armee ohne Brot zu lassen! Die Tatsache, daß es eine stillschweigende und offensichtlich friedliche Sabotage (ohne Blutvergießen) war – ändert nichts an der grundsätzlichen Angelegenheit, nämlich, daß Ihre geschätzten Bauern einen Zermürbungskrieg gegen die Sowjetmacht geführt haben. Einen Kampf auf Leben und Tod, lieber Genosse Scholochow!
Selbstverständlich können diese Besonderheiten die Übertretungen, die sich unsere Funktionäre Ihrer Schilderung nach erlaubt haben, nicht rechtfertigen. Und die Verantwortlichen werden für ihr Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden.
Aber es liegt klar auf der Hand, daß unsere geschätzten Bauern keine Unschuldslämmer sind, wie man beim Lesen Ihrer Briefe glauben könnte.
Also, halten Sie sich gut. Ich drücke Ihnen die Hand.
Ihr J. Stalin"