Parallel zur Formierung des Regimes der persönlichen Macht J. W. Stalins entfaltete sich der Kampf gegen Andersdenkende. Die Ausmaße der Repressalien gegenüber "klassenfeindlichen Elementen" wuchsen.
Richteten sich Verfolgung und Terror 1929/32 noch vornehmlich gegen die Kulaken, so betrafen sie seit Mitte der dreißiger Jahre faktisch alle Bevölkerungsschichten und hatten ausschließlich machtpolitische Beweggründe. Mit diesem Vorgang verbindet sich der Begriff "Große Säuberung".
So genannte "Volksfeinde" fanden sich überall, in der Partei, im Staatsapparat, in der Armee und in der Wirtschaft. Opfer der "Großen Säuberung", für die Schauprozesse ein makaberes Symbol wurden, waren Russen und Angehörige anderer Nationalitäten der UdSSR sowie
Ausländer – darunter Kommunisten, die in der Sowjetunion Zuflucht vor dem deutschen Faschismus gesucht hatten.
Wachsendes und bewusst geschürtes Misstrauen und Feindschaft sowie Restriktion und Repression gegen Deutsche in der UdSSR hatte folgende Gründe:
- Zweifel an der Loyalität der Volksgruppe nach dem Machtantritt Hitlers in Deutschland, besonders bei Stalin.
- Beunruhigung über die Stimmungslage unter den Russlanddeutschen, die vielfach Entkulakisierung und Kollektivierung feindselig gegenüberstanden.
- Die tiefe religiöse Verwurzelung großer Teile der deutschen Bevölkerung.
Als Beginn massiver Repressionen gegen die Deutschen insgesamt kann deren geheim gehaltene
personelle Erfassung 1934 angesehen werden. Mit den erstellten Listen wurde ein Zugriff der Machtorgane gegen missliebige Personen erleichtert, vor allem nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die UdSSR.
Ebenfalls im Jahr 1934 begann die vollständige Abschirmung der Deutschen gegenüber dem Ausland. Kontakte mit Personen oder Einrichtungen im Ausland, insbesondere in Deutschland, wurden beobachtet und unterbunden. Die Verbindungen der ASSR der Wolgadeutschen aus der Zeit des
Rapallovertrages wurden gekappt. Verstöße gegen diese Politik wurden als "konterrevolutionäre faschistische Tätigkeit" streng bestraft.
In den Jahren 1935/38 kam es auch in den deutschen Dörfern zu einer Verhaftungswelle. Allein im Gebiet von Odessa wurden 1937/38 über 1000 Angehörige der deutschen Nationalität erschossen. In der Moskauer Zeitschrift "Neues Leben" wurde darüber ab dem 18. September 1991 eine entsprechende
Liste von erschossenen Deutschen veröffentlicht.
Von uns interviewte russlanddeutsche Zeitzeugen konnten ebenfalls mit Dokumenten aus ihren Familien die willkürliche Ermordung Angehöriger als
Einzelschicksale belegen, so z. B. Frau Grabowskaja, die heute in Berlin lebt. Ihr gelang es überhaupt erst auf eigene Nachforschung hin im Jahre 1990(!), vom Komitee für Staatssicherheit der UdSSR eine Information über die Ermordung ihres Vaters im Jahre 1937 zu erhalten.
Mit welcher unglaublichen Rechtsbeugung und Willkürherrschaft die stalinistische Terrormaschinerie gegenüber der deutschen Bevölkerung aus der Ukraine in dieser Zeit vorging, verdeutlicht eine Operation des NKWD (Staatssicherheitsdienst) vom Sommer 1938, über die im Rahmen einer auf Archivmaterialien des NKWD beruhenden Forschungsarbeit 1995 berichtet wurde (siehe:
Stalinistischer Terror gegen die deutsche Bevölkerung in der Ukraine ).
Die Repressionen von 1935/38 waren aber nicht die letzten. Nach dem Zweiten Weltkrieg, besonders Ende der vierziger Jahre, wuchs die Zahl der Lager und Verbannten erneut dramatisch an. Sie gehörten zur so genannten dritten Welle.
Zu ihren Opfern gehörten auch Hunderttausende Russlanddeutsche, die nach Kriegsende aus dem besiegten Deutschland als "Repatriierte" zwangsweise in die Sowjetunion zurückgebracht wurden
[siehe hier] .
Insgesamt waren während der Stalinära 19,5 bis 22 Millionen Menschen Opfer der Unterdrückung. Etwa ein Drittel von ihnen wurde zum Tode verurteilt oder starb in den Lagern oder in der Verbannung.