Die Russlanddeutschen unter der Sowjetmacht
Autonomie, Deportation, Trudarmee
6. Die Nachkriegsentwicklung bis zur Auflösung des Sonderregimes für die Russlanddeutschen 1955
Mit Beendigung des Zweiten Weltkrieges hatte sich die Situation für die Russlanddeutschen nicht geändert.
Alle Hoffnungen auf Normalität und Wiederherstellung ihres "alten Lebens" wurden nicht erfüllt.
Noch 10 Jahre nach Kriegsende bis 1955 lebten die Russlanddeutschen unter dem Regime der
Sondersiedlungen (allgemein auch als Kommandanturregime bezeichnet).
Mit Kriegsende 1945 wurden die Sondersiedlungen und Arbeitslager mit wahrscheinlich mehr als einer Viertel Million
Repatriierten noch "verstärkt".
1955 wurde endlich das Kommandanturregime aufgelöst. Der Oberste Sowjet der UdSSR erließ am 13. Dezember 1955 das Dekret "Über die Aufhebung der Beschränkungen in der Rechtsstellung der Deutschen und ihrer Familienangehörigen, die sich in den Sondersiedlungen befinden".
Nach dem Besuch von Bundeskanzler Adenauer im September 1955 in Moskau und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Moskau und Bonn wurde das Leben für die Russlanddeutschen leichter.
Aus ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten im europäischen Teil der Sowjetunion vertrieben, lebten die Russlanddeutschen nach Kriegsende durch Deportation und Verschickung in die Zwangsarbeitslager der Trudarmee verstreut über größere Gebiete Asiens, vom Ural bis zum Beringmeer.
Mit Aufhebung des Kommandanturregimes ziehen viele Russlanddeutsche in
neue Siedlungsgebiete , andere bleiben in den zugewiesenen Gebieten.
Ihre
Produktionsbedingungen und Tätigkeitsfelder – und damit auch die soziale Struktur – unterscheiden sich in der Nachkriegszeit wesentlich von der Zeit vor der Deportation. Vormals überwiegend Bauern, arbeiten sie jetzt in vielen anderen Wirtschaftsbereichen (z. B. im Bergbau, Bahn- und Straßenbau, Forstwirtschaft, beim Aufbau von Industrieanlagen und bei der Neulanderschließung). Sie vollbringen ungeachtet der gerade für sie als Deutsche äußerst schwierigen und diskriminierenden Bedingungen große – z.T. auch staatlicherseits anerkannte – Leistungen beim Wiederaufbau der Sowjetunion nach dem Krieg.
Mit der durch die Deportation erfolgten Zerstreuung sowie durch das vielfach erfolgte Auseinanderreißen der Familien war das traditionell gepflegte Gemeinschaftsleben der Russlanddeutschen zum Erliegen gekommen. Diese Erscheinung setzte sich auch nach dem Krieg fort, denn es gab keine deutschen Schulen, der Gebrauch der deutschen Muttersprache in der Öffentlichkeit war nicht erlaubt, die Unterdrückung ihres Glaubens dauerte an. Mit dem Abwandern in die Städte wuchs die Anonymität des Einzelnen und der Anteil der Mischehen nahm zu.
Offiziell wurden die Russlanddeutschen und ihre Situation totgeschwiegen. Es wurde weder in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern noch in Reden oder Rundfunksendungen über sie gesprochen, obwohl sie in dem Vielvölkerstaat Sowjetunion mit ca. 2 Millionen Menschen unter den über 100 Nationalitäten die 14. Stelle einnahmen.
Die andauernden Repressionen führten schließlich zur
gewaltsamen Assimilation der ethnischen Gemeinschaft der Russlanddeutschen. Damit hatte die Sowjetführung ihre diesbezügliche – langgehegte – Absicht weitgehend erreicht.